Verfuehrung
Abbate siehst, dann frag ihn, ob er seine Abreise noch um einen Tag verschieben kann. Dann breche ich ohnehin auch nach Rimini auf, und wir können genauso gut gemeinsam reisen.«
Der nächste Morgen war frei von Wolken, als hätte sich der Himmel den Glanz eines Kirchengemäldes übergezogen. Diesmal gab es keinen spendierten Kaffee, doch Cecilia kam mit einer Miene wie ein Kätzchen, das Sahne geleckt hatte, in Bellinos Zimmer und verkündete, der Abbate habe in der Tat seine Abreise um einen Tag verschoben. Am heutigen Abend lade er alle zu Ehren von Don Sanchos Rückkehr zu einem gemeinsamen Essen ein, und er würde Bellino mit Freuden auf der Reise begleiten, wenn Bellino ihm vorher das gewünschte Vergnügen machte, eindeutig zu klären, welchen Geschlechtes er sei.
»Wir werden sehen«, gab Bellino zurück.
»Du fragst gar nicht, wie meine Nacht war«, sagte Cecilia und schob ihre Unterlippe ein wenig enttäuscht nach vorne. »Marina war so wütend, da ich die ganze Nacht bei ihm war und drei Dublonen für Mama bekommen habe, dass sie mir Wasser ins Gesicht geschüttet hat.«
Bellino zuckte die Achseln. »Warum sollte ich dir Wasser ins Gesicht schütten? Du bist wahrlich alt genug, um dich alleine zu waschen.«
»Und du bist ein Spielverderber!«, rief Cecilia. »Es ist höchst ungerecht, wie Mama dich immer bevorzugt. Sie hat mir bereits gesagt, dass wir dich nicht nach Rimini begleiten dürfen, sondern so tun sollen, als ob es hier noch Dinge zu erledigen gäbe, damit du allein mit dem Abbate sein kannst.«
Da sie am gestrigen Abend auch ihr Haar gewaschen hatte, war es heute Morgen schwer zu bändigen gewesen, und Bellino hatte beschlossen, eine Perücke zu tragen. Das Weiß des Perückenhaars ließ ihr Gesicht älter aussehen. Ob sie dadurch mehr einem schönen Jungen oder einer Frau glich, war schwer für sie zu sagen, aber auf jeden Fall glich sie keinem kindlichen Mädchen mehr, wie Cecilia und Marina es noch waren.
»Bist du denn verliebt in ihn?«, hörte sie sich fragen.
Jetzt war es Cecilia, die die Achseln zuckte.
»Ich mag ihn. Und es wäre wirklich nett, jemanden länger für sich zu haben, aber er ist ja deinetwegen geblieben, sonst wäre er schon fort, und wir würden auch schon packen. Wenn er wirklich keine Knaben mag, dann wird er dir aber die Reise über ein langes Gesicht ziehen, das kann ich dir sagen. Er schwört nämlich darauf, dass du ein Mädchen bist, und ich konnte mit meinem Hintern machen, was ich wollte, und ich verstehe mich da auf einiges, er fing immer wieder von dir an.«
»Nun, er wird mich nicht aus der Kutsche werfen, da ich selbst für meine Reise bezahle«, entgegnete Bellino und streckte Cecilia versöhnlich die Hand entgegen. »Üben wir heute gemeinsam?«
»Damit du dadurch noch herausstreichen kannst, dass du viel besser singst, als ich je werde spielen können?«, fragte Cecilia aufrührerisch.
»Du spielst noch nicht so lange, wie ich singe, und du machst deine Sache sehr gut«, antwortete Bellino und hätte nicht sagen können, warum sie Cecilia gleichzeitig trösten wollte und in ihrem Inneren über sie verärgert war. Sie erinnerte sich, wie sie sich in der Nacht bei Petronio dafür entschuldigt hatte, sich für etwas Besseres gehalten und auf die Familie herabgeschaut zu haben. Petronio hatte nicht geleugnet, dass dies sein Eindruck war, oder ihr versichert, dass keiner sie für herablassend hielt.
»Ich würde mich wirklich freuen, wenn du heute mit mir übst.«
»Heute Nachmittag«, entschied Cecilia und gähnte ostentativ. »Jetzt bin ich zu müde.«
Giacomo Casanova wirkte völlig ausgeruht, als sie ihm in der Wirtsstube begegnete, was Bellino argwöhnen ließ, dass Cecilia ihre Müdigkeit absichtlich übertrieben hatte.
»Eine Wahrheit zum Morgen, Bellino?«
»Eine Einladung zum Spaziergang«, entgegnete sie. »Der Tag ist noch lang. Und ich würde wirklich gerne spazieren gehen, jetzt, wo die Sonne endlich scheint. Es sei denn«, fügte sie mit einer leichten Spitze hinzu, »Sie fühlen sich zu entkräftet?«
»Sehen Sie, ein weiterer Beweis, dass Sie eine Frau sein müssen. Einen Mann durch eine Anspielung auf mangelnde Kräfte zum Einsatz derselben herauszufordern ist eine überaus weibliche Taktik.«
»Man sagt den Frauen auch nach, dass sie nie auf eine Frage das antworten, was der Fragesteller eigentlich erfahren will, aber wissen Sie, Signore Abbate, ich habe noch nie einen Menschen kennengelernt, der diese Kunst so gut
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