Verfuehrung
das? Bellino, Bellino, ein weniger vertrauensseliger Mensch als ich würde jetzt sagen: gesprochen wie eine Frau.«
Also hatte er sie mit all dem Gerede über unfehlbar erkennbare Reize nur auf das verbale Glatteis locken wollen. Sie war gleichzeitig beeindruckt und ein wenig wütend auf sich selbst, nicht nur, weil sie sich hatte provozieren lassen, sondern auch, weil sie sich einen Moment lang, gegen ihren Willen, wünschte, er würde tatsächlich meinen, was er über sie gesagt hatte. Hastig versuchte sie, wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen.
»Wir Kastraten sind zwar als Männer geboren, aber werden von Ihresgleichen, die dem Messer entgangen sind, nicht für voll genommen, wie Sie mir ja selbst ständig beweisen. Daher fällt es mir leicht, auch an die Lage von Frauen zu denken, die in dieser Welt nun wirklich nicht an der Macht sind, sondern sich tagaus, tagein nach dem Willen der Männer richten müssen, ganz gleich, wer im Schlafzimmer die Oberhand hat. Sie werden doch nicht behaupten wollen, dass der Wettkampf im Bett das Alpha und Omega unserer Welt darstellt?«
»Sie haben recht, was das Spiel zwischen Mann und Frau betrifft«, erwiderte er vergnügt, »und es sind bestimmt nicht die schlechtesten Erlebnisse, bei denen man die Frauen ausschließlich durch Blicke verführt und mit Blicken besessen hat, aber nicht jeder ist zum Heiligen bestimmt.«
Damit hatte er schon wieder das umgangen, wogegen er kein gutes Argument besitzen konnte. Ob er nun ein Lügner war oder ein miserabler Kleriker, als Wortfechter war er eindeutig der Beste, der Bellino je begegnet war, und sie musste zugeben, dass ihr die Auseinandersetzung mit ihm Freude bereitete. Ganz gleich, wie sehr er im Unrecht war.
»Die Gefahr, dass jemand Sie je mit einem Heiligen verwechselt, besteht bestimmt nicht, Abbate. Aber wenn Sie sich tatsächlich zukünftig auf Blicke beschränken, wird man Sie noch als Vorbild der Moral seligsprechen.«
Er machte eine wegwerfende Geste.
»Moral ist für mich, wonach man sich gut fühlt, Unmoral, wonach man sich schlecht fühlt, und schlecht habe ich mich durch die Liebe noch nie gefühlt, oder erst, wenn ich eine Kur machen musste, weil ich mich angesteckt hatte. So ist das Natürliche für mich auch nie anstößig, sonst wäre es ja nicht natürlich, wie die Liebe und die Lust.«
Wenn sie nicht alles trog, hatte er sich gerade eine Blöße gegeben, und sie schlug sofort zu.
»Unmoral könnte man auch Ihre Neigung nennen, für sich selbst ständig Ausnahmen zu fordern. Sie machen also einen Unterschied zwischen Liebe und Lust?«
»Das eine gehört zum anderen«, entgegnete er ungerührt.
»Und als Lust bezeichnen Sie …«
»Lust ist, was unser Wesen lieber erfahren als nicht erfahren möchte. Dazu gehört gutes Essen genauso wie guter Wein, die Kunst, die Musen, liebe Freunde, die uns die Seele halten. Lust ist dabei zur Liebe so unverzichtbar wie der Schlaf zum Leben, und sie ist der Moment, in dem Mann und Frau wirklich eins sind.«
»Und wie wollen Sie beurteilen, dass die Frau, die Sie in Ihren Armen halten, Ihnen dabei nicht etwas vormacht?«, platzte sie heraus.
»Warum sollte sie das?«, fragte er zurück.
Sie konnte nicht widerstehen. »Glauben Sie mir, ich weiß Ihre Großzügigkeit meiner Familie gegenüber zu schätzen, aber drei Dublonen sind schon ein gutes Argument.«
Seine natürlich gewölbte Augenbraue kletterte noch etwas höher. »Ich wusste doch, dass Sie eifersüchtig sind«, sagte er zufrieden. Ihr lag gerade die scharfe Erwiderung auf der Zunge, dass er überhaupt nichts von ihr wusste, als eine Kutsche an ihnen vorbeifuhr. Unwillkürlich erstarrte sie. Die Kutsche hielt nicht an, und Bellino entspannte sich wieder. So eng nebeneinander, wie sie gingen, die Arme ineinander verhakt, war es unmöglich, dass er davon nichts gemerkt hatte. Aber diesmal überraschte er sie vollständig, denn er verzichtete auf jegliche Frage oder einen Kommentar.
Wenn sie ihm von der Contessa erzählte, war er imstande zu lachen und wünschte sich höchstens, dabei gewesen zu sein, wie Petronio es getan hatte. Außerdem prahlte sie nicht mit intimen Erlebnissen. Sie war kein – sie war kein solcher Mann.
»Ancona war in den Zeiten der Römer der Venus geweiht, wussten Sie das?«, fragte er im Plauderton. »Es gibt ein Gedicht von Catull, das sie als Schutzgöttin des Ortes preist. Sie sehen, die Umstände sind auf meiner Seite, denn Venus kann sich über mangelnde Anbetung
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