Verfuehrung
mein Schöner, wenn ich Sie nicht nach Pesaro mitnehmen soll. Also …«
Sie schlug ihre Röcke hoch. Bellino, die mit Küssen auf den Nacken und die Brüste gerechnet hatte, aber nicht mehr, zumal die Contessa beim Tanzen schon ihren Griff getan und geseufzt hatte: »Er kann sich wirklich nicht mehr regen, nicht wahr? Was für ein Jammer!«, war einen Moment sprachlos, dann sagte sie:
»Donna Giulia, Sie wissen doch …«
»Dass Sie mit Ihrem Mund sehr geschickt sind und jahrelange Übung gehabt haben, Ihre Zunge in alle möglichen Stellungen zu bringen«, sagte die Contessa. Leichte Ungeduld mischte sich in ihre Stimme. »Oder sollte ich mich irren? Das wäre ein Jammer. Dann müsste ich nämlich einen anderen Sänger nach Pesaro holen.«
Ihr erster Impuls war es, zu sagen, »bedauerlicherweise müssen Sie das«, und die Kutsche sofort zu verlassen. Wenn das Engagement in Pesaro ausfiel, dann würde es andere geben. Gewiss würde es das. Vielleicht sogar Neapel, wenn Don Sancho wirklich so von ihrer Stimme beeindruckt war, wie es den Anschein hatte, und über die Verbindungen verfügte, die man bei seinem Amt unterstellen durfte.
Aber es konnte eben auch sein, dass Don Sancho es sich anders überlegte und erst gar nicht nach Ancona zurückkehrte. Und es konnte sein, dass die Oper in Rimini ihr immer noch den gleichen Hungerlohn zahlte wie das letzte Mal, weil der Impresario wusste, dass sie eine Familie zu ernähren hatte und damit keinen starken Rückhalt, um härter zu verhandeln.
Es konnte sein, dass Donna Giulia über eine Zurückweisung so verärgert sein würde, dass sie sich nicht damit zufriedengab, Bellino aus der Kutsche zu werfen. Sie konnte ihren Freunden und Verwandten, die ebenfalls Sänger engagierten, wer weiß was erzählen. Sie war eine Contessa. Wenn eine Contessa es wollte, dann konnte sie sogar jemanden wie Bellino von ihren Bediensteten verprügeln lassen, und niemand würde ihr zu Hilfe eilen. Sie konnte sogar behaupten, Bellino habe sie bedrängt, und ihn von den Behörden bestrafen lassen, nach den Privilegien, derer sie sich aus Gewohnheit, Nachsicht und Kastengeist erfreute.
Vor nicht einer Viertelstunde hatte Bellino noch geglaubt, in dieser Lage die Macht zu haben. Wie hatte sie nur so töricht sein können?
»Giulia meines Herzens«, sagte sie hastig. »Sie gestatten mir mehr, als ich mir zu träumen erlaubte, denn sehen Sie, noch nie habe ich mich einer Dame so nahe gefühlt. Doch ach, das ist gleichzeitig ein Hindernis! Welche Übung meine Zunge auch immer hat, diese war nicht dabei, und wenn ich in einer fahrenden Kutsche meinen ersten Versuch beginne, dann fürchte ich sehr, Sie zu verletzen, Sie, meine Angebetete. Und das würde ich mir nie verzeihen! Die Furcht wiederum lähmt mich, und so …«
»Anhalten!«, rief die Contessa ihrem Kutscher zu. Nur jahrelange Selbstdisziplin verhinderte, dass Bellino einen Seufzer der Erleichterung ausstieß. Einen Herzschlag später zeigte sich, dass dieser ohnehin verfrüht gewesen wäre.
»Das ist sehr rücksichtsvoll von Ihnen gedacht«, gurrte die Contessa, »und es ist gar zu reizend, einen schönen … Jüngling … wie Sie in diese Freuden der Liebe einführen zu können.«
»In Pesaro …«, begann Bellino.
»Nein, hier«, entgegnete die Contessa mit Stahl unter dem Gurren. Sie hatte noch immer ihre Röcke hochgeschlagen, und nun stützte sie sich auf den Ellbogen ab und winkte Bellino mit gebogenem Finger zu. »Davon habe ich geträumt, seit ich Sie singen hörte, mein Held.« Mit der größten Unbekümmertheit begann sie, detaillierte Anweisungen zu geben.
Bellino hatte im strengen Wortsinn nicht gelogen. Keiner Dame, sondern Appianino war sie auf diese Weise nahe gewesen. Er hatte sie gelehrt, Hände, Lippen und Zunge zu gebrauchen, weil er das Gleiche bei ihr tat, und genau deswegen war es ihr nie in den Sinn gekommen, dass jemand anderes dergleichen von ihr erwarten würde. Es war etwas, das zwischen ihr und Appianino geschehen war, und nur zwischen ihnen, etwas, das sie mit Liebe in Verbindung brachte, nicht mit den gelegentlichen Küssen und dem neugierigen Griff, den man Gönnern gestattete. Dumm, sagte Bellino sich, dumm, dumm, dumm, selbst Cecilia und Marina sind in dieser Hinsicht klüger, und ich habe auf sie herabgesehen.
Nun war sie einmal in dieser Lage, und es blieben ihr nur drei Möglichkeiten: das Weite zu suchen und die Rache der Contessa in Kauf zu nehmen, der Contessa den Gefallen zu tun und
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