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Verfuehrung

Verfuehrung

Titel: Verfuehrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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wenn Sie mich fragen, dann habe ich mehr von der jungen Schwester meines Lehrers gelernt als von dem Lehrer. Und von den Nichten meines Mentors. Und von den Schwestern der …«
    »Sie müssen mir nicht alle Ihre Verflossenen aufzählen, um mich zu beeindrucken«, wehrte sie ab, und das Gefühl der Wärme wich der Irritation, die sie mit seiner Gegenwart verband. »Das tut mein Bruder Petronio gelegentlich auch, und es beweist nur, dass unsichere junge Männer das Angeben vor anderen jungen Männern genauso genießen wie das, was sie vielleicht getan haben.«
    Er lachte. »Also, da tun Sie mir unrecht. Und nicht, weil Sie mir immer noch unterstellen, dass ich Ihnen den jungen Mann abkaufe. Ich erkenne immer das Geschlecht, die Frau, ohne die wir Männer alle nur die unglücklichsten Tiere auf Erden wären. Aber die Fähigkeit zur Liebe unterscheidet uns von ihnen. Gott sei es gedankt.«
    »Und woran …«
    »Nicht, dass Sie jetzt glauben, ich wolle ausweichen, wenn ich nicht konkret werde. Es sind aber die tausend kleinen Züge, die zur Anmut führen, die man nicht beschreiben kann.«
    »Anmut hat man jedem Kastratensänger, der auch nur einigermaßen berühmt geworden ist, nachgesagt«, gab sie skeptisch zurück und dachte daran, wie Appianino ihr erzählt hatte, was man die Knaben an den Konservatorien in Neapel alles tun ließ, um sie dazu zu bringen, sich auf der Bühne »anmutig« zu bewegen. Für männliche Tänzer wie Petronio galt dasselbe. Als er mit dem Tanzen begann, war er wiederholt wegen mangelnder Anmut verprügelt worden; jetzt dagegen konnte ihm niemand mehr dergleichen nachsagen.
    »Außerdem«, fuhr Giacomo Casanova fort, der offenbar nur hörte, was er hören wollte, »entdecke ich jeden Moment an Ihren Augen, Lippen, Händen, Ihren Bewegungen einen sinnlichen Reiz, und meine Augen, meine Gefühle können da nicht lügen.«
    Oh, er hatte es wirklich verdient, dass sie sich für ihn als Mann herausstellte. Sie hatte sich in den letzten Jahren des Öfteren gewünscht, ihre Verkleidung wäre Wirklichkeit, aus den unterschiedlichsten Gründen, angefangen damit, dass es ihr die Freiheit verschaffen würde, im Sommer nackt im Meer zu schwimmen, und damit endend, dass manche für den Stimmumfang von Kastraten geschriebene Partien zunächst wie unerklimmbare Berge schienen und sie unendlich viel Energie kosteten, um sie dennoch zu meistern. Aber gerade hier und heute hätte sie wenigstens einen Auftritt und eine gute Mahlzeit darum gegeben, nur um ihm auf diese unerträgliche Selbstsicherheit hin ohne Lügen beweisen zu können, dass er sich irrte.
    »Ihre Phantasie geht mit Ihnen durch«, sagte sie so fest wie möglich, was gemessen an der Art, wie seine Mundwinkel sich kräuselten, offenbar nicht fest genug war.
    »Immer. Wozu ist die menschliche Phantasie da, wenn man sie beschränkt? Ich kann in der Tat durch meine Phantasie unsichtbare Dinge sehen, an Ihnen, an mir, an uns. Ich kann meine Phantasie verführen zur Liebe, Leidenschaft, zur Lust, egal wohin. Das Paradies, das uns für später versprochen wird, ist nichts dagegen. Ich würde meiner Phantasie aber nie Gewalt antun, anders als Sie mir das jetzt unterstellen. Sie wird nur von echter Inspiration beflügelt. Ich würde Sie gerne mitnehmen in diese Welt der Liebe.«
    »Wäre ich eine Frau, würde ich bei Ihrer Beredsamkeit vielleicht schwachwerden, aber so?«
    »Glauben Sie mir, jede Frau, so schwach sie auch sein mag, ist durch das Gefühl, das sie einflößt, stärker als der stärkste Mann.«
    Was für ein Unsinn, dachte Bellino und war mit einem Mal froh, doch kein Mann zu sein, denn dergleichen konnte nur ein Mann von sich geben. Ein Mann, den noch nie jemand gezwungen hatte, einem anderen zu Willen zu sein, wie es täglich so vielen Frauen geschah. Wie es ihr geschehen wäre, hätte sie Bologna nicht mit Appianino verlassen. Sie müsste jetzt Falier zu Willen sein und ihn ihren Herrn und Gebieter nennen. Sie sah ihn an, diesen Mann, der vorgab, etwas von Frauen zu verstehen, und fragte sich, ob er sich je die Mühe gemacht hatte, sich in eine Frau hineinzuversetzen. Gewiss nicht!
    »Wenn es sich auch nur im Entferntesten so verhielte, wie Sie behaupten, dann wäre die Welt eine andere. Stattdessen sind alle ihre Gesetze von Männern für Männer geschaffen«, sagte sie unwillig und ohne nachzudenken. An dem Blitzen in seinen Augen erkannte sie eine Sekunde zu spät, dass sie ihm in die Falle gelaufen war.
    »Und als Mann stört Sie

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