Verfuehrung auf Probe
ein Waschbecken.
Als sie die Tür hinter uns verriegelt hat, drückt sie mich auf das Klo (der Deckel ist runtergeklappt) und quetscht sich selbst zwischen Tür und Waschbecken.
„Versteh mich bitte nicht falsch. Normalerweise bin ich nicht der Typ Frau, der andere betüddelt. Aber du siehst aus, als ob du gleich stirbst. Darum verhalte ich mich jetzt ausnahmsweise wie meine eigene beste Freundin. Wenn du das nicht willst, dann sag es.“
„Oder schweige für immer“, sage ich düster.
„Dann lass ich dich natürlich in Ruhe“, lächelt sie mit ihrem schönen Gesicht zu mir hinab. „Ich hasse es nämlich selbst, wenn mir jemand zu nah auf die Pelle rückt. Eigentlich habe ich sowieso am liebsten meine Ruhe. Leider lässt sich das nicht immer einrichten. Wenn du nichts sagst, dann betrachte mich einfach als eine Art ältere Schwester.“
Sie sieht mir an, dass ich wie gelähmt bin. Darum übernimmt sie die Führung und binnen weniger als fünf Minuten hat sie mich soweit aufgerichtet, dass ich wieder unter Menschen gehen kann. Und an meine Wohnung denke.
„Bist du Psychiaterin?“, frage ich sie.
„Übersetzerin.“
„Danke für deine Hilfe. Ich fühle mich so … mies. Wegen des Jobs. Und wegen der Affäre mit Gabriel. Jetzt weiß ich nicht, wo mir der Kopf steht. Da habe ich mich in was reingeritten.“ Ich atme tief durch.
„Wenn du hörst, was ich angestellt habe, bevor ich zu dieser braven Mami wurde, schlägst du ebenfalls die Hände über den Kopf zusammen. Alles wird gut , Nicolette.“
„Was hast du denn …?“
„Nicht jetzt und nicht hier. Wir treffen uns ein anderes Mal, trinken einen Café, essen ein paar Törtchen und dabei tauschen wir unsere Horrorgeschichten aus. Ich kann dir nur eins sagen: Manchmal ist der scheinbar Falsche der Richtige.“
Ich sehe diese warmherzige Frau mit großen Fragezeichen in den Augen an, doch sie zuckt mit den Schultern. „Wer das in deinem Fall ist, die Frage kannst nur du selbst dir beantworten , Nicolette. Lass dich dabei auf gar keinen Fall beeinflussen. Nicht einmal von deiner besten Freundin. Hör nur auf dein Herz. Bei wem schlägt es so laut, dass du es hören kannst? Beim Gedanken an wen bist du plötzlich hellwach? In wessen Gegenwart setzt dein Verstand zeitweise aus? Von wem willst du am liebsten entführt werden? Na ja, solche Fragen führen dich auf den richtigen Weg. Aber eigentlich weiß man es. Es ist nur so schwer, es auszusprechen. Weil derjenige vielleicht nicht auf einen selbst steht, weil man einem anderen vor den Kopf schlagen muss, weil man am Ende vielleicht sogar allein dasteht. Aber wenn du wirklich glücklich werden willst, musst du ehrlich sein zu dir selbst. Der Rest regelt sich von allein.“
„Du scheinst zu wissen, wovon du sprichst.“
„Yepp. Und jetzt komm, sieh dir mal die anderen Arbeiten von Gabriel an. Die sind ziemlich gut.“
Annie harkt sich bei mir unter und führt mich an elektronischen Bilderrahmen und Bildschirmen vorbei, in denen Gabriels Werke flimmern. Es ist fast, als wäre ich mit Jeanne unterwegs, und das ist endlich einmal etwas, das sich gut anfühlt. Als wir vor einem Bildschirm stehen, der einen Film zeigt, in dem Isabelle durch ein Labyrinth irrt, tritt das Miststück zu uns.
„Ich möchte mich für dein Outfit entschuldigen“, wagt sie mir ins Gesicht zu sagen. In meiner Hand zuckt es und ich bin sprachlos, doch dann setzt sie zu einer Erklärung an: „Eric bat mich, als Wiedergutmachung Klamotten für dich zu besorgen, in denen dich niemand erkennt. Ich dachte, dieses Ensemble von Givenchy wäre das perfekte Kontrastprogramm zu deinem gestrigen Outfit.“
„Wie wahr“, kommt es keuchend über meine Lippen. Normalerweise bin ich ziemlich schlagfertig, aber diese Frechheit verschlägt mir endgültig die Sprache.
„Ich muss allerdings zugeben: Es ist schrill und bunt, aber es passt zu dir.“
In dem Moment verzieht sich Annies liebes Gesicht zu einer Fratze. „Wenn du nichts Gescheiteres von dir geben kannst, Isa, dann halte deinen verdammten Mund! Du hast genug angerichtet. Lass sie in Ruhe, sonst bekommst du es mit mir zu tun!“
„Da bekomme ich aber Angst.“ Erics Angebetete klappert mit ihren Mausezähnchen. Doch dann macht sie auf ihren spitzen, schwarzen High Heels kehrt, stellt sich wieder neben Eric und lächelt unterwürfig zu ihm auf.
„Die Alte ist ein wenig verpeilt“, knurrt Annie.
„Ein wenig?“, knurre auch ich.
„Alles wird gut“, sagt Annie wieder,
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