Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
Händen.
Wie es wohl wäre, noch mal von ihm geküsst zu werden? Oder seine Arme um sich zu spüren? Seine Hände auf ihr …
Sabrina schloss die Augen und atmete tief ein. Was geschah mit ihr? Was an Daigh war es, das ihr Innerstes nach außen kehrte?
Schon als Kind hatte sie sich aller möglichen verwundeten Geschöpfe angenommen. Des Vogels mit dem gebrochenen Flügel, der von den Söhnen des Gärtners getriezten Katze, des mageren Hundes mit den hervorstehenden Knochen und flehenden Augen, der ihr nach Hause gefolgt war. Sie alle hatten einen Platz in ihrem Herzen gefunden. Und war Daigh so anders? Mit seinem gehetzten Blick und der Verzweiflung, die sich darin widerspiegelte? Der grimmigen Anspannung seines muskulösen Körpers und dem Gram, der seine markanten Züge prägte?
War er vielleicht einfach nur ihr neuester Streuner?
Damen und Herren bewegten sich im Rhythmus der Musik, kamen zusammen und trennten sich wieder. Hände wurden ergriffen und mit einem Lächeln freigegeben.
Sabrina trank ihren letzten Schluck Claret und suchte den Raum nach einem nahen Diener ab, um sich nachschenken zu lassen. Als ihr Blick auf Mr. St. Johns kultivierte, lächelnde Erscheinung fiel, erstarrte sie. Er und ihre Tante standen plaudernd beieinander und blickten mit unverhohlenem Wohlgefallen zu ihr herüber.
Die Unterschiede zwischen ihnen hätten nicht auffallender sein können. Mr. St. Johns strenge, schwarz-weiße Eleganz stand in krassem Gegensatz zu dem grauenhaften Zartlila und Gold, das ihre Tante trug.
»Da bist du ja, Liebes«, gurrte Delia, als sie sich einen Weg in Sabrinas grüne Grotte bahnte. »Warum um Himmels willen verkriechst du dich hier im Gebüsch? Ich sagte dir doch schon in der Kutsche, dass du keine Angst zu haben brauchst. Der Puder verdeckt ganz ausgezeichnet deinen Pickel.«
Welche Strafe stand auf Tantenmord? Jeder Richter, der Tante Delia kannte, würde Sabrina wahrscheinlich sogar mit einer Medaille für große Verdienste zum Wohle der Allgemeinheit heimschicken.
»Wenn dein Kleid doch auch nur so unauffällig wäre!«, murmelte Sabrina hinter ihrem Fächer und richtete den Blick zur Tanzfläche, wo sich die Paare für den nächsten Tanz aufstellten. Jane war von einem schwindsüchtig aussehenden Herrn aufgefordert worden, der sie mit melancholischem Blick betrachtete.
Wo waren die Diener mit dem Rotwein, wenn Sabrina welchen brauchte?
Tante Delia zog Mr. St. John zwischen die Pflanzen. »Sieh nur, wen ich im Spielzimmer getroffen habe! Du erinnerst dich doch sicher an Mr. St. John, der so freundlich war, uns in die Kathedrale zu begleiten?«
»Schön, Sie wiederzusehen, Lady Sabrina.« Er verbeugte sich mit der Anmut einer Ballerina, bevor er ihre Hand nahm und einen Kuss in die Luft darüber hauchte. Seine Berührung war kalt wie immer, sein Blick bedauerlicherweise jedoch nicht. Er ruhte mit genügend Wärme auf ihrem Busen, um ihr eine Gänsehaut zu verursachen. »Ich sagte Ihrer Tante gerade, wie sehr ich gehofft hatte, Gelegenheit zu bekommen, die schönste Frau in Dublin noch einmal zu sehen.«
Daigh hatte sie gewarnt, sich vor diesem Mann in Acht zu nehmen und sich so weit wie möglich von ihm fernzuhalten. Um ihre ablehnende Haltung nicht allzu offensichtlich zu machen, als sie ihm die Hand entzog, zupfte sie den Hauch von Seide, der gerade eben als Schal durchging, noch fester über ihrer Brust zusammen. »Meine Tante galt schon immer als Diamant von höchster Güte. Ich bin mir sicher, dass sie sich geschmeichelt fühlte.«
Tante Delia kicherte in ihr Taschentuch, während ein Anflug von Unmut über St. Johns Züge glitt, bevor das charmante Lächeln zurückkehrte. »Oh, aber Sie sind Verwandte, und daher ist die Ähnlichkeit verblüffend. Die gleichen strahlenden Augen.«
Als hätten sich Tante Delias für diese Gelegenheit blau verfärbt!
»Das gleiche glänzende Haar.«
Das ihrer Tante war knallrosa und zu mädchenhaften Ringellöckchen gekräuselt.
»Der gleiche biegsame Körper.«
Tante Delia war nicht mehr biegsam gewesen seit dem vergangenen Jahrhundert. Falls sie es überhaupt jemals gewesen war.
»Zwei große Schönheiten. Und ich habe das Vergnügen, beide für mich allein zu haben.«
Der Mann war entweder ein ausgemachter Lügner oder blind wie eine Fledermaus.
»Oh, da ist ja Lady Townsend«, sagte Tante Delia, winkte aufgeregt einer knochendürren Frau in einem dunkelblauen Kleid zu und bewahrte damit Sabrina davor, das plötzlich verlegene Schweigen
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