Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
mit einer geistreichen Bemerkung brechen zu müssen. Was nur gut war, da ihr Kopf plötzlich wie leer gefegt war. »Hat sie an Gewicht verloren? Sie sieht krank aus, die Arme! Ich gehe besser hinüber, um sie meiner Anteilnahme zu versichern«, erklärte Tante Delia vergnügt. »Ich kann mich doch darauf verlassen, dass Sie während meiner Abwesenheit nicht die Unerfahrenheit meiner Nichte ausnutzen, Mr. St. John?«
»Diskretion ist Ehrensache, Madam«, versicherte er mit einer weiteren galanten Verbeugung, die Tante Delia dazu veranlasste, ihm kichernd mit ihrem Fächer auf den Arm zu schlagen.
Dann entfernte sie sich mit einem provokanten Schwung ihres ausladenden Hinterteils, das die Blicke aller Männer im Saal anzog. Nur Mr. St. John schien immun dagegen zu sein. Seine Aufmerksamkeit galt einzig und allein Sabrina. »Haben Sie Ihren Bruder schon gesehen? Bei unserer letzten Begegnung schienen Sie sich ja sehr auf das Wiedersehen zu freuen.«
Tatsächlich? Sie konnte sich nicht erinnern, doch sie würde ihm ganz gewiss nicht offenbaren, wie wenig ihr daran lag, den Bruder zu sehen, der sie gegen ihren Willen hierher beordert hatte. »Kilronan wurde aufgehalten, fürchte ich.« Schnell nahm sie sich ein Getränk vom Tablett eines vorbeieilenden Dieners. Vielleicht half ihr angetrunkener Mut, wenn all ihre Instinkte – und Daigh – sie warnten, St. John aus dem Weg zu gehen.
»Das ist schade, aber möglicherweise lenkt Ihr anderer Bruder Sie ja von der anhaltenden Abwesenheit Seiner Lordschaft ab.« St. Johns Augen glänzten wie durchsichtige Glasmurmeln.
Sabrina erstickte fast, als Feuer sich einen Weg durch ihre Speiseröhre brannte. Du liebe Güte! War das Brandy in dem Glas? »Mein anderer Bruder?«, krächzte sie.
»Der Herr, in dessen Gesellschaft ich Sie in der Kathedrale sah.« Er lächelte besorgt, als hätte er sie bei einer Indiskretion ertappt. »Ich hoffe, ich bin nicht aufdringlich. Ich konnte ihn nicht gut sehen, doch Sie beide schienen sich nahezustehen.«
»Oh!« Sabrina hielt den Atem an. Um Zeit zu gewinnen, trank sie einen zweiten Schluck des höllischen Gebräus, das ihren Magen traf wie ein dumpfer Schlag. »Das war nicht mein Bruder, sondern ein … Cousin. Mein Cousin Jack.«
»Sie meinen Jack O’Gara?«, fragte er und drängte Sabrina noch tiefer zwischen die Palmen, hinter eine Säule und noch weiter weg von den Augen anderer Gäste. Er hatte jeden Schürzenjäger-Schachzug drauf.
»Sie kennen ihn?«
Wieder grinste er bis über beide Ohren. »Nur vom Hörensagen.«
Sabrina griff auf ihren Fächer zurück, um eine Barriere zwischen sich und dem routinierten Charme dieses durchtriebenen Schurken zu schaffen.
»Nun ja, er bedauerte es sehr, nicht zu einer angemessenen Vorstellung bleiben zu können.«
St. John schwenkte den Wein in seinem Glas und beobachtete sie über dessen Rand hinweg. »Oh, das glaube ich Ihnen gern.«
Diesmal war Sabrina wie gelähmt, statt sich nur zu versteifen. Warum zum Teufel hatte sie Jacks Namen erwähnt? St. John hatte vermutlich schon von O’Garas Tod gehört, und wenn ja, hatte er sie bei einer Lüge ertappt, und sie würde ihm eine Erklärung geben müssen. Was nicht nur demütigend, sondern auch gefährlich war, falls Daighs Warnungen berechtigt waren.
Während sie nervös den Fächer flattern ließ, versuchte sie, St. Johns Bewusstsein anzurühren, um einen Hinweis auf seine Gedanken zu erhalten. Aber es war, als prallte sie gegen eine Wand, die jedes Eindringen unmöglich machte. Sie drang noch weiter vor, stieß aber wieder nur auf eine starre, glatte Leere. Und auf ein Brennen wie von Eis. Erschrocken unterbrach sie den Kontakt und zog sich schwindelnd und mit einer jähen Hitze in den Wangen in sich selbst zurück. Dieser Mann hatte eine meisterhafte Ausbildung genossen. Es gab nicht den kleinsten Spalt in seiner Deckung, durch den sie einen Gedanken stehlen könnte.
»Die Getränke sind heute Abend ziemlich stark«, sagte er, nahm ihr den leeren Kognakschwenker aus der Hand und stellte ihn auf einen Tisch. »Sie sollten vielleicht besser zu Limonade übergehen.«
Seine Augen funkelten mit einer gewissen Schärfe. Hatte er ihre geistige Berührung gespürt? Lachte er jetzt insgeheim über ihr Scheitern?
Sabrina bekam einen trockenen Mund, und der Saal erschien ihr plötzlich stickig und zu warm. Ihr war, als klebte ihr das Kleid am Körper, und ihr Mieder zwickte in ihre Rippen. Sie versuchte, tief durchzuatmen, aber die warmen
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