Verführung Der Unschuld
braune Schuhe. Giulia hatte dergleichen noch nie gesehen, außer vielleicht in einem
Spielfilm, und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
»Hast du gelernt?« Federicos Stimme führte sie ruckartig in die Wirklichkeit zurück. Er saß
auf einem Stuhl gegenüber der Tafel.
»Ja, Signor Federico«, erwiderte sie selbstbewusst. Woher sie diese Haltung nahm, wusste
sie selbst nicht, aber sie hatte nicht die Absicht, freiwillig zu offenbaren, wie schlecht sie
vorbereitet war. Wie zu ihrer Schulzeit hoffte sie auf ein wenig Glück.
Lorenzo nahm ihr das Schulheft ab, legte es auf das Pult und drückte ihr ein Stück Kreide in
die Hand. »Hier. Für jede falsche Antwort wirst du eine Anzahl von Kreidestrichen an die
Tafel malen.« Er setzte sich neben Federico und schlug die Beine übereinander. »Fangen wir
mit den Matheaufgaben an. Rechne sie uns an der Tafel vor.«
Giulia schluckte. Allmählich befiel sie ein ungutes Gefühl. Es war ihr zwar leicht gefallen,
die Aufgaben zu lösen, aber sie an der Tafel noch mal neu zu berechnen, war etwas anderes.
Doch sie schaffte es.
Federico und Lorenzo schauten sich überrascht an. Sie hätten niemals erwartet, dass Giulia
diese Aufgabe fehlerfrei bewältigen würde. Aber das machte nichts. Sie waren sich absolut
sicher, dass dies nicht auf alles zutreffen konnte – und selbst wenn. Sie würden immer etwas
zu bemängeln finden, um daraus eine erotische Strafe abzuleiten.
»Gut. Die erste Aufgabe hast du zu unserer Zufriedenheit gelöst. Glückwunsch. Dann
werden wir mal sehen, ob du auch fleißig gelernt hast.« Seine Stimme hatte einen gefährlich
klingenden, zynischen Klang, jagte ihr einen Schauer der Angst über den Rücken hinab.
Giulias Zuversicht sank auf der Stelle ins Bodenlose ab.
Die Beantwortung der Geschichtsfragen, die beide vorbereitet hatten, endete mit einer
Katastrophe. Zunächst stotterte Giulia noch ein paar halbwegs richtige Antworten auf
Lorenzos Fragen zusammen. Aber dann übernahm Federico den Part des strengen Lehrers,
und seine Fragen waren so kompliziert, dass Giulia mehr als einmal gar nicht wusste, was er
von ihr wissen wollte.
Ihr ungutes Gefühl verstärkte sich in dem Maße, wie sich die Kreidestriche an der Tafel
häuften, und die Situation verwirrte sie zunehmend. Die beiden Männer schickten ihr
glutvolle, lüsterne Blicke, und sie fühlte die kraftvolle Anspannung, die von ihnen ausging,
wie sie mit leicht gegrätschten Beinen auf ihren Stühlen saßen und sie mit ihren Fragen
folterten. Es hatte beinahe den Anschein, als bereite ihnen jede falsche oder ungenügende
Antwort Vergnügen – oder war da etwa nicht eine Erhebung in der Stoffhose, die vorher noch
nicht zu sehen war? Sie wusste, was die Kreidestriche zu bedeuten hatten, und allmählich
machte es ihr Sorgen, wenn sie den Rohrstock betrachtete, der ermahnend auf dem Lehrerpult
vor ihr lag. Ihre Gewissensbisse nahmen zu, doch für Reue war es zu spät.
Zuletzt musste sie ihren Aufsatz aufschlagen und zeigen. Federico bemängelte ihre
Handschrift. Sie sollte lesbarer und fraulicher sein, fand er. Giulia traute sich nicht, darauf
etwas zu erwidern. Ausgerechnet er, dessen Handschrift zwar schwungvoll, markant, aber
nicht unbedingt leicht zu entziffern war, kritisierte ihre!
Dann forderte er sie auf, ihre Geschichte vorzulesen. Giulia gab sich Mühe, langsam und mit
viel Betonung zu lesen. Sie schaute zwischendurch kein einziges Mal auf. Daher entging ihr
der Blickkontakt zwischen den beiden Männern. Federico schüttelte fast unmerklich den
Kopf, soufflierte stimmlos eine Bemerkung und Lorenzo nickte. Schließlich war sie mit ihrem
Vortrag fertig und schlug das Heft zu.
Lorenzo räusperte sich. »Hm, ganz nett vorgelesen und eigentlich eine hübsche Geschichte,
sehr schmeichelhaft für meinen Bruder. Allerdings eine komplette Themaverfehlung und
deshalb nicht einmal akzeptabel. Du hättest dich schon genau an die Vorgaben halten
müssen!«
»Nun gut, das Ergebnis deiner Bemühungen ist eindeutig. Du wirst wohl noch ein wenig
mehr lernen müssen, Giulia, und folgsamer sein. Zähl die Striche zusammen und schreib das
Ergebnis an die Tafel!«, ergänzte Federico.
Es waren zwanzig, genau zwanzig. So alt wie sie war. Zwanzig Jahre. War das ein Omen?
Und wenn ja – ein gutes oder ein schlechtes? Giulia war ein kleines bisschen abergläubisch,
woran ihre Oma schuld war, die leidenschaftlich gerne Tarotkarten legte und daraus die
Zukunft las.
Sie drehte sich wieder um und sah die
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