Verfuehrung im Mondlicht
Zeitung weiter auf und blätterte die erste Seite um. Sie suchte nach Anmerkungen oder Notizen, die Mrs. Jervis vielleicht gemacht hatte.
Als sie die zweite Seite umblätterte, fielen zwei dünne Papierbogen heraus und flatterten sanft auf den Teppich.
Concordia sah hinunter und bemerkte, dass es Briefe waren. Sie hob sie auf. Beide waren sie an eine R. J. Jervis adressiert und von einer S. Bartlett unterschrieben worden.
Sie überflog die Briefe hastig, und bei jedem Satz schien ihr das Blut weiter zu gefrieren.
Als sie die Briefe zu Ende gelesen hatte, stürmte sie wieder in den Flur. Das Rauschen des Wassers hatte aufgehört.
Sie klopfte kräftig an die Tür des Badezimmers.
»Mr. Wells.« Sie bemühte sich, ihre Stimme so gut es ging zu dämpfen. Das Letzte, was sie wollte, war, ihre Schülerinnen zu wecken. »Mr. Wells, Ihr müsst Euch ansehen, was ich in der Zeitung gefunden habe.«
Er öffnete die Tür. Auf seinem Gesicht zeichnete sich grimmige Resignation ab. Er hatte sein Hemd ganz ausgezogen und war nun oberhalb der Taille vollkommen nackt.
Concordia sah die glitzernde Feuchtigkeit auf seiner nackten Haut, wo er sich das kalte Wasser ins Gesicht und auf den Oberkörper gespritzt hatte. Seine Schultern wirkten erstaunlich breit, und die Konturen seiner Brust und schmalen Taille hätten der Statue eines antiken, mythischen Helden alle Ehre gemacht. Ein Dreieck aus dunklem Haar verlief von seiner Brust in einer schmalen Linie über seinen flachen Bauch, wo es in seinem Hosenbund verschwand.
»Was ist denn jetzt schon wieder, Miss Glade?«, fragte er höflich.
Sie starrte ihn mit offenem Mund an, aber sie konnte nichts dagegen tun. »Grundgütiger Himmel, ist das da eine Tätowierung?«
Er schaute auf die kleine Blume auf seiner rechten Brust. »Es ist tatsächlich eine Tätowierung, Miss Glade. Wie aufmerksam von Euch, sie zu bemerken.«
»Grundgütiger Himmel.« Sie holte tief Luft. »Ich habe noch nie jemanden mit einer Tätowierung gesehen.«
»Anscheinend ist es mir endlich gelungen, Eure außerordentlich modernen Einstellungen zu erschüttern.«
»Nein, nein, ganz und gar nicht«, widersprach sie hastig. »Es ist nur, na ja ... eine Tätowierung?« Sie beugte sich vor und betrachtete die kleine Blume eingehender. »Es ist eine Art Blume, stimmt’s? Ich kann die Spezies nicht erkennen.«
»Ich werde das bestimmt bereuen«, knurrte Ambrose. Er legte ihr sanft die Hand unter das Kinn und hob es an, so dass er in ihre rauchgrauen Augen schauen konnte. »Aber ich scheine Euch einfach nicht widerstehen zu können. Ihr habt mich in einem sehr schwachen Moment überrascht, Miss Glade. Das kalte Wasser hatte eigentlich als Gegengift wirken sollen, aber offenbar vermochte es nicht die gewünschte Wirkung zu erzielen.«
»Ein Gegengift? Wogegen denn? Habt Ihr Fieber, Sir?«
»Ich stehe sozusagen in Flammen, Miss Glade!«
Im nächsten Moment spürte sie seine Lippen auf den ihren. Er küsste sie auf eine Art und Weise, dass ihr Hören und Sehen verging, und sie dachte an nichts mehr, nicht einmal an die Tätowierung.
15
Ambrose hatte sie nicht küssen wollen. Jedenfalls jetzt noch nicht. Nicht heute Nacht. Es war zu früh, und außerdem war der Moment nicht gut gewählt. Deshalb hatte er versucht, sie nach unten in die Bibliothek zu schicken. Und aus demselben Grund hatte er versucht, sich mit kaltem Wasser abzukühlen.
Stattdessen war Concordia zu ihm gekommen. Als sie da in der Tür des Badezimmers stand, nur mit ihrer Robe und dem dünnen Nachthemd bekleidet, und ihren weichen Mund beim Anblick der Tätowierung schockiert öffnete, war der Anblick einfach zu verführerisch gewesen, zu intim.
Logik und gesunder Menschenverstand kapitulierten bedingungslos.
Ambrose küsste sie genüsslich und leidenschaftlich, wäh-rend er sich gleichzeitig schmerzlich bewusst war, dass er zweifellos einen gewaltigen Fehler beging.
Aber immerhin hat sie an die Tür des Badezimmers geklopft, dachte er. Und außerdem war sie Miss Concordia Glade, die höchst unkonventionelle Tochter der berüchtigten Freidenker William Gilmore Glade und Sybil Marlowe. Sie war keine unerfahrene Miss Prissy.
Einen scheinbar endlosen Moment stand Concordia einfach nur da, als wäre sie erstarrt. Er legte seine Hand um ihren Hinterkopf und küsste sie noch inniger, während er verzweifelt auf eine Reaktion wartete, die ihm verriet, dass sie wenigstens ein wenig von dem empfand, was er gerade fühlte.
Sie zitterte. Ihre Lippen
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