Verfuehrung im Mondlicht
Anstellung?«
»Diejenigen, die lernen, sich bescheiden und zurückhaltend zu geben und danach streben, den Goldenen Regeln für Dankbare Mädchen zu folgen, finden eine solche Anstellung, allerdings.« Pratt spreizte die Finger. »Natürlich gibt es gelegentlich den einen oder anderen unvermeidlichen Fehlschlag.«
»Verstehe.« Concordia fiel auf, dass sie schon wieder die Fäuste ballte. »Und was geschieht mit ihnen?«
»Oh, sie finden sich für gewöhnlich irgendwann auf der Straße wieder«, erklärte Pratt beiläufig. »Also, kommen wir zur unehelichen Tochter Eures verstorbenen Gatten. Wir haben hier in Winslow siebenunddreißig Mädchen. Es gibt zwei Rebeccas, glaube ich. Ich sehe gern in den Unterlagen nach, ob eine der beiden eine Beziehung zu einer Familie namens Thompson hat.«
»Das wäre sehr freundlich von Euch.«
Die Schulleiterin warf einen nachdenklichen Blick auf die Aktenschränke. »Ich bin allerdings sehr beschäftigt, Mrs. Thompson. Es wird eine beträchtliche Weile meiner kostbaren Zeit in Anspruch nehmen, gründlich nach diesen Akten zu suchen.«
Der Hinweis hätte kaum deutlicher sein können.
»Sicherlich. Ich bestehe darauf, Euch für Eure Mühe zu entschädigen, Miss Pratt.« Ambrose hat Recht gehabt, dachte Concordia. Die Schulleiterin erwartet, dass ich sie bezahle. Sie griff in ihren Muff und zog die Banknote heraus, die Ambrose ihr für diesen Zweck gegeben hatte. Sie legte sie auf den Schreibtisch.
»Nun gut, ich werde nachsehen, ob es eine Akte über eine Rebecca gibt, deren Vater Thompson heißt.« Miss Pratt ließ die Banknote blitzschnell in der Tasche ihres Kleides verschwinden. »Kennt Ihr zufällig auch den Namen ihrer Mutter?«
»Nein, den kenne ich natürlich nicht.«
Miss Pratt stand auf und ging zu den Aktenschränken. Sie öffnete den mit der Aufschrift: P-T. Concordia sah, dass er von Ordnern und Unterlagen nur so überquoll. Ihr Inneres krampfte sich zusammen. So viel traurige Lebensgeschichten sind in diesem Aktenschrank gefangen, dachte sie.
Jemand klopfte an die Bürotür.
»Kommt herein, Miss Burke«, sagte Miss Pratt, ohne sich umzudrehen.
Die Tür ging auf. Concordia sah die blasse Frauengestalt, die ihr vor kurzer Zeit die Tür geöffnet hatte.
»Es tut mir Leid, wenn ich Euch störe, Miss Pratt, aber Ihr wolltet doch sofort verständigt werden, wenn die Männer ankommen, welche die Kohlen liefern.«
»Sehr richtig, Miss Burke.« Miss Pratt schob schwungvoll die Schublade zu und wirbelte mit erstaunlicher Heftigkeit herum. »Ihr müsst mich kurz entschuldigen, Mrs. Thompson. Ich muss unbedingt mit diesen Lieferanten sprechen. Wir verbrauchen in letzter Zeit viel zu viele Kohlen hier in Winslow, wenn man bedenkt, dass wir längst Frühling haben. Ich muss die Menge der Bestellung drastisch reduzieren.«
»Selbstverständlich«, murmelte Concordia. Sie selbst fand es für diese Jahreszeit eigentlich noch reichlich kühl.
Miss Pratt ging zur Tür und trat in den Flur. Mit einem entschuldigenden Nicken zu Concordia schloss Miss Burke die Tür.
Concordia war allein im Büro.
Sie schaute zu den Aktenschränken, dann warf sie einen Blick auf die geschlossene Tür. Edith Pratts energische Schritte entfernten sich rasch.
Die Gelegenheit war einfach zu günstig, um sie zu ignorieren.
Concordia sprang auf, trat hastig an die Aktenschränke und riss die Schublade auf, auf der A-C stand.
Es gab mehrere Cooper, aber keine Edwina oder Theodora.
Sie schob die Lade zu und suchte in der, welche laut Aufschrift die Akte von Phoebe Leyland hätte enthalten sollen.
Diese Suche förderte ebenfalls kein Ergebnis zutage.
Ebenso wie die nach der Akte von Hannah Radburn.
Es war, als hätten diese vier Mädchen niemals existiert.
Enttäuschung und Frustration überkamen Concordia. Es musste doch Unterlagen über die vier geben. Sie waren schließlich alle vier von der Winslow-Armenschule für Mädchen nach Aldwick Castle gekommen.
Sie erinnerte sich an Ambroses erfolgreiche Suchaktion in Mrs. Jervis’ Schreibtisch und trat hinter Edith Pratts massiven Tisch.
Das Erste, was ihr ins Auge fiel, war ein schweres, in Leder gebundenes Journal.
Sie schlug es auf und blickte auf einen Terminkalender und Planer, wie ihn die meisten Schulleiterinnen führten. Es überraschte Concordia nicht sonderlich, dass Edith Pratt ihre Aufzeichnungen äußerst penibel führte. Die Einzelheiten jeder Zuweisung der Klassenräume, die wöchentlichen Speisepläne und der monatliche
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