Verfuehrung im Mondlicht
auszumerzen.«
»Ich bin sicher, dass es Euch großartig gelingt, Übermut und leichtsinnige Begeisterung zu ersticken.« Concordia merkte, dass sie eine Faust in ihrem Schoß ballte, und zwang sich, die Hand wieder zu öffnen. »Wie ich gerade sagte, das Ergebnis dieses Seitensprunges meines Gatten war ein kleines Mädchen. Sie heißt Rebecca. Ihre Mutter ist anscheinend vor einigen Jahren gestorben. Mein Ehemann sorgte dafür, dass dieses Mädchen in einem Waisenhaus untergebracht wurde. Mir gegenüber hat er diese Angelegenheit niemals erwähnt. Ich habe erst nach seinem Tod erfahren, dass er sozusagen eine zweite Familie unterhielt. Dies alles war höchst nervenzermürbend.«
»Zweifellos.« Edith Pratts strenge Miene wurde noch finsterer, als sie sichtlich verwirrt die Stirn runzelte. »Nur, inwiefern betrifft Euch das überhaupt, Mrs. Thompson?«
»In seinem Testament hat mein Gatte seinem Bedauern darüber Ausdruck verliehen, dass er Rebecca in ein Waisenhaus gesteckt hat. Offenbar hielt er es für angemessener, dieses Mädchen im Haus ihres Vaters aufwachsen zu lassen.«
»Unsinn! Euer Ehemann konnte nur schwerlich von Euch erwarten, seine uneheliche Tochter großzuziehen. Das wäre von einer anständigen, wohlerzogenen Dame, die auch nur das geringste Feingefühl besitzt, bei weitem zu viel verlangt.«
Und was ist mit den Gefühlen eines unschuldigen Kindes?, hätte Concordia am liebsten gerufen. Zählt der Schmerz und das Leiden eines Kindes gar nicht? Es war schließlich die Pflicht der beteiligten Erwachsenen, sich um dieses arme kleine Mädchen zu kümmern. Schließlich war es nicht Rebeccas Schuld, dass sie auf der falschen Seite der Decke geboren worden war.
Sie fühlte, wie ihr Puls sich beschleunigte. Reiß dich zusammen!, ermahnte sie sich streng, sonst ruinierst du alles. Das ist keine echte Tragödie! Du spielst nur eine Rolle!
Doch sie wusste nur zu gut, dass ihre Geschichte deshalb so echt klang, weil es tatsächlich mehr als genug echte Rebeccas auf der Welt gab.
»Vielleicht«, stieß sie zwischen den Zähnen hervor. »Aber es bleibt der Umstand, dass mein Ehemann seine Entscheidung, das Kind in ein Waisenhaus gesteckt zu haben, zutiefst bedauert hat. In seinem Testament hat er verfügt, ich solle mich bemühen, Rebecca ausfindig zu machen, damit ich ihr eine kleine Erbschaft und eine Fotografie ihres Vaters aushändigen kann.«
»Verstehe. Ihr sagtet, es ginge um eine Erbschaft?«
Die Pratt zeigte plötzlich erheblich mehr Interesse an dieser Angelegenheit.
»Ja«, bestätigte Concordia. »Allerdings handelt es sich nicht um eine sehr große Summe.«
»Oh.« Der Funke von Anteilnahme in Edith Pratts Augen erlosch schlagartig.
»Das Problem ist«, Concordia war entschlossen, sich an die Dramaturgie zu halten, »dass es keinerlei Aufzeichnungen gibt, welches Waisenhaus mein Gatte für das Mädchen ausgewählt hat. Ich bin daher genötigt, so viele wie möglich aufzusuchen, in der Hoffnung, schließlich die Einrichtung zu finden, in welcher Rebecca untergebracht wurde.«
»Nun, wenn sie in ein Arbeitshaus oder eines der Waisenhäuser geschickt wurde, die Kinder ohne respektable Herkunft aufnehmen, dürfte sie mittlerweile längst in die Dienste einer geeigneten Herrschaft abgegeben worden sein.«
»Aber Rebecca ist doch erst neun!« Concordia fiel schon wieder aus der Rolle.
»Das ist alt genug, um in der Küche eines respektablen Haushaltes zu arbeiten«, erwiderte Pratt ungerührt. »Kinder, die zu Dienstboten bestimmt sind, müssen früh lernen, hart zu arbeiten, wenn sie später anständige Stellungen bekommen wollen, damit sie nicht auf der Straße enden.«
»Schickt Ihr Eure Mädchen ebenfalls in solche Dienste, Miss Pratt?«
»Diese Frage muss ich verneinen.« Edith schien zutiefst beleidigt. »Winslow akzeptiert nur Waisen aus besseren Kreisen. Unsere jungen Damen werden zu Lehrerinnen und Gouvernanten erzogen. Sie bleiben für gewöhnlich hier, bis sie siebzehn sind.« Sie runzelte die Stirn. »Sie könnten zwar gewiss früher anfangen, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, aber es ist schwierig, eine Schule oder eine Familie zu überzeugen, eine Lehrerin zu akzeptieren, die jünger als siebzehn ist.«
»Wohl wahr«, stimmte Concordia steif zu. Sie selbst hatte über ihr Alter die Unwahrheit sagen müssen, als sie ihre erste Stellung gesucht hatte. Sie hatte sich für achtzehn ausgegeben. »Finden alle ihre Schülerinnen eine anständige
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