Verfuehrung im Mondlicht
meint im Anschluss an eine leidenschaftliche Nacht, nach welcher der fragliche Gentleman zu verzaubert, zu verzückt und zu verliebt war, um am nächsten Morgen klar zu denken?«
»Ein Mann, der die Worte verzaubert, verzückt und verliebt in einem Satz verwenden kann, denkt mit geradezu perfekter Klarheit.«
Ambrose rutschte tiefer in die Polster. »Ich dachte, ausgerechnet Ihr würdet von allen Menschen am meisten zu schätzen wissen, wie geschickt ich diese peinliche Szene mit Euren Schülerinnen gehandhabt habe.«
»Ihr betrachtet Euren Vorschlag, mir die Verantwortung zuzuschieben, um der Moral Genüge zu tun, als ein Beispiel für geschicktes Verhalten?«
»Nun, Ihr müsst zugeben, dass es zumindest eine höchst moderne Art war, mit dieser Frage umzugehen.«
Sie seufzte. »Ihr seid einfach unmöglich, Sir.«
Es herrschte eine kurze Pause.
»Wäre es Euch lieber gewesen, wenn ich der Tradition gefolgt wäre?«, fragte er sachlich. »Hätte ich Euch heute Morgen fragen sollen, ob Ihr mich heiraten wollt?«
Sie verspannte sich und betrachtete angelegentlich die
Szenerie vor dem Fenster der Kutsche. »Wegen einer leidenschaftlichen Nacht, in der wir uns als Gleichgestellte begegnet sind? Selbstverständlich nicht! Ihr habt mich nicht ausgenutzt, Sir. Also ist es auch überflüssig, Buße zu tun, indem Ihr mir einen Heiratsantrag macht.«
»Und wenn ich Euch trotzdem einen Antrag machen würde?«, erkundigte sich Ambrose beiläufig.
Concordia sah ihn finster an. »Den würde ich natürlich ablehnen!«
»Weil Ihr so modern und unkonventionell seid?«
Jetzt war Concordia sich sicher, dass er sich über sie lustig machte.
»Nein«, erwiderte sie brüsk. »Ich würde Euren Antrag ablehnen, weil ich weiß, dass Ihr Euch nur durch Euer Ehrgefühl als Gentleman zu einem solchen Schritt genötigt sehen würdet. Ich will keinen Mann aus einem solchen Grund heiraten.«
Er warf ihr einen rätselhaften Blick zu. »Ich glaube, dass Ihr das Maß überschätzt, in dem ich mich von meinem Ehrgefühl als Gentleman leiten lasse.«
»Unsinn. Ihr seid ein zutiefst ehrenhafter Mann, Ambrose. Ich habe das schon bei unserer ersten Begegnung gespürt. Und aus diesem Grund sehe ich mich auch gezwungen, jeden Antrag abzulehnen, den Ihr mir machen würdet. Ich könnte Euch unter diesem Zwang niemals heiraten.«
»Zwang?«, murmelte er. »Was für ein unerquickliches Wort.«
»Seht Ihr, da habt Ihr es. Eine Ehe, die aus altmodischen, missgeleiteten Vorstellungen von Ehre geschlossen wird, oder um dem Diktat der so genannten guten Gesellschaft zu genügen, endet sehr wahrscheinlich für beide beteiligten
Parteien als lebenslängliche Strafe in einem Gefängnis ohne Mauern.«
»Ich nehme an, dass Eure Eltern diese Meinung vertreten haben, habe ich Recht?«
Concordia verzichtete auf eine Antwort. Denn er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Wie oft hatten ihre Eltern genau diese Einstellung geäußert! Sie war damit aufgewach-sen, und die Worte ihrer Eltern klangen ihr immer noch in den Ohren.
»Ihr habt Angst, das Andenken Eurer Eltern und all dessen, was sie Euch gelehrt haben, zu verraten, wenn Ihr eine Ehe aus solchen Gründen eingeht, Concordia, habe ich Recht?«, fragte Ambrose leise.
Concordia sammelte sich und hob herausfordernd ihr Kinn. »Ich würde jedenfalls keinem von uns eine solche trübselige Ehe zumuten!«
»Seid Ihr denn so sicher, dass wir eine trübselige Ehe führen würden?«
Concordia spürte, wie ihr Mund trocken wurde.
Zum Glück kam die Droschke in diesem Moment rumpelnd zum Stehen und enthob sie einer Antwort. Ambrose griff nach der Türklinke.
»Angesichts Eurer offensichtlich starken Gefühle bei diesem Thema«, erklärte er, »scheint es mir, als würde uns nichts anderes als mein einfallsreicher, moderner und unkonventioneller Vorschlag übrig bleiben.«
»Wie bitte?«
»Wie ich Euch heute Morgen vor Euren Schülerinnen gesagt habe, werde ich die Angelegenheit einer Heirat Euch überlassen. Falls Ihr Euch irgendwann dazu durchringen solltet, mich um meine Hand zu bitten, wisst Ihr ja, wo Ihr mich findet.«
Ambrose war sich bewusst, dass er mit seiner letzten Bemerkung zu weit gegangen war, und ahnte, dass er sie sehr bald bereuen würde.
Es war schon den ganzen Morgen ersichtlich gewesen, dass Concordia einen inneren Balanceakt auf ihren zum Zerreißen gespannten Nerven aufführte. Rückblickend war es ein Fehler gewesen, das Thema Heirat überhaupt anzusprechen, geschweige denn
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