Verfuehrung im Palast der Liebe
Grad der Entzugserscheinung von den Drogen, von denen sie abhängig war. Mit einer abrupten Bewegung schob Keira den Laptop von sich.
Nein, sie war nicht wie ihre Mutter, sie war sie selbst. Ein Individuum mit der Fähigkeit, über sich selbst zu bestimmen, zu wählen und Entscheidungen zu treffen. Einem Mann würde es niemals gelingen, sie dazu zu bringen, dass sie sich gegen ihren Willen mit ihm einließ. Ein Mann nicht, aber … Was war mit ihren eigenen Gefühlen? Gefühle? Das, was Jay in ihr erweckte, hatte nicht das Geringste mit Gefühlen zu tun. Das Sehnen und Verlangen beruhte nur auf reiner Lust, nichts weiter. Was wiederum unmöglich sein sollte. Es war undenkbar, dass ihr Körper nach einem Mann verlangte.
Panik stieg in Keira auf. Sie erhob sich und ging zum Fenster. Und stellte fest, welch kapitaler Fehler es war, in den Garten zu schauen. Er mochte vielleicht in gleißendem Sonnenlicht daliegen, doch vor ihren Augen sah Keira nur einen mondbeschienenen Pfad und Schatten, sah sich selbst und Jay, wie sie sich berührten und küssten. Und wie sie … Nein, daran durfte sie nie wieder denken!
In einer halben Stunde traf sie sich mit dem Stoffhändler. Er hatte sie angerufen mit der Nachricht, dass die Stoffmuster vorlagen. Er hatte auch angeboten, die Muster zum Palast zu bringen, doch Keira hatte ihm gesagt, sie würde in sein Geschäft kommen.
Sie hatte sich in die Stadt verliebt und nahm jede Gelegenheit wahr, um mehr über sie herauszufinden. Keira fühlte sich dort zu Hause, war mit sich selbst im Reinen und zufrieden – wenn man ihre Panik vor Jays Rückkehr einmal außer Acht ließ.
Die Stadt war wie ein Schachbrett angelegt, durchzogen von geraden Straßen und unterteilt von kleinen Plätzen. Vor dem Palast verlief die breite Prachtstraße, die über Jahrhunderte hinweg zahllose Prozessionen der Maharadschas mit ihrem Hofstaat und anderer Würdenträger gesehen hatte. Doch es waren die vielen engen Gassen, die sich vom gro ßen Markplatz aus in der Altstadt verästelten, die Keira anzogen. Hier lagen die vielen kleinen Kunsthandwerksbetriebe und Läden, die sogar noch faszinierender waren als die bavelis , die Stadthäuser der reichen Bürger, auch wenn jedes dieser Häuser ein Kunstwerk für sich selbst war.
Wie jedes Mal fühlte Keira sich sofort von den verschiedenen Aromen und Geräuschen wie verzaubert. Das Klingen der Tempelglocken mischte sich mit dem Lachen der Kinder und den Rufen der Straßenhändler, die ihre Waren feilboten.
Keira blieb noch genügend Zeit bis zum verabredeten Treffen, und so schlenderte sie durch den Basar, vorbei an den Läden, die berühmt für ihre Sorbets mit Rosen-, Mandel-, Kukusgras- und Safrangeschmack waren. Im Blumenviertel banden Verkäufer mit flinken Händen Girlanden als Darbringungen für die Tempelgänger, und im Schmuckviertel des Marktes musste Keira sich zusammennehmen, um nicht der Versuchung zu erliegen, eines von den vielen schönen Schellenarmbändern zu erstehen.
Das waren die Düfte und Bilder von Jays Heimat. Der Ort, wo er geboren worden war, wo seine Familie seit so vielen Generationen die Geschicke des Landes lenkte. Jay war nicht nur ein erfolgreicher Geschäftsmann, sondern auch der Sohn einer königlichen Familie Indiens. Sein Bruder war der Maharadscha. Kein Wunder, dass ihn eine Aura von Arroganz und Stolz umgab. Verständlich, dass er erwartete, sein Wunsch sei jedem Befehl.
Doch nicht sein königlicher Status war es, der die Angst in Keira auslöste, sondern seine sinnliche Ausstrahlung. Und die würde er auch besitzen, wäre er nicht mit dem Rang geboren.
Der Stoffhändler begrüßte sie mit überschwänglicher Ehrerbietung. Er verbeugte sich so tief und häufig vor ihr, dass Keira schon um seinen kunstvoll gebundenen Turban fürchtete. Seine Tochter brachte Tee, ihr Lächeln ebenso schüchtern wie das ihrer Kinder. Sie war ausnehmend hübsch in ihrer mit Rot und Blau abgesetzten Landestracht. Mit geschmeidigen Bewegungen servierte sie das heiße Getränk, die grazilen langen Finger mit Henna tätowiert.
Als Keira die Stoffe begutachtete, die der Händler vor ihr ausbreitete, fing ihr Herz aufgeregt an zu pochen. Diese Muster waren genau das, was sie sich vorgestellt hatte, kombinierten Tradition mit genau dem richtigen Kniff Moderne.
„Mein Cousin würde Sie gern zu einer Besichtigung seiner Fabrik einladen, damit Sie mehr von seiner Arbeit sehen können“, sagte der Händler jetzt.
„In der Stadt, in der er
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