Verfuehrung in Gold
bemerkte, dass sich der Nebel gelichtet hatte. Endlich kam sie auf eine breitere Straße und lächelte. Drei Droschken standen nur eine Ecke weiter und schienen gleichsam auf der Straße zu treiben, weil ihre Räder im Nebel versunken waren. Zehn Minuten später stieg Emma vom strohbestreuten Boden der Kutsche und blickte auf die grüne Tür vor sich. Es war Morgen, aber die Sonne drang kaum durch den grauen Dunst. Emma glättete sich das Haar und wischte sich mit den Handschuhen übers Gesicht. Nachdem sie ihren Umhang gerichtet hatte, zog sie ihn ein wenig zurück, um den edleren Stoff des Kleides darunter zu zeigen. Dann ging sie die Stufen hinauf und betätigte den Klopfer.
Eine ganze Weile verging, ohne dass etwas geschah. Der Haushalt wachte wohl eben erst auf und lauschte um diese Zeit natürlich nicht auf ein Klopfen an der Tür. Falls niemand kam, wäre sie gezwungen, zur Hintertür zu gehen. Emma klopfte nochmals, energischer.
Stimmen erklangen. Emma vergewisserte sich, dass sie gerade dastand und ihr Kinn vorgereckt hatte, bevor die Tür einen Spalt weit aufging.
Der Butler – ein recht junger Butler – musterte sie. Er begutachtete die dunkelblaue Seide ihre Kleides und blickte vor allem auf ihre durchnässten Schuhe, bevor er nickte. »Madam?«
»Ich brauche Hilfe. Es ist recht eilig. Würden Sie bitte dies zu Lord Lancaster bringen?« Sie hielt ihm den versiegelten Brief hin. Der Butler warf einen Blick auf das Papier und nahm es nicht an.
»Mylord wird heute Nachmittag zurückerwartet, Madam.«
»Ich bin Lady Denmore, eine Freundin von Ihrem Herrn. Er bot mir seine Unterstützung an, sollte ich ihrer bedürfen. Ich würde sie jetzt brauchen. Bitte bringen Sie ihm diesen Brief.«
»Das ist höchst ungewöhnlich.«
»Ja, ist es natürlich. Ich hätte mein eigenes Heim nicht um diese Stunde verlassen, wäre es nicht von größter Dringlichkeit. Bitte, wecken Sie ihn und geben Sie ihm diesen Brief. Ich warte draußen, wenn Sie es verlangen, und Sie dürfen mich fortschicken, falls er sich weigert, meinen Brief anzunehmen.«
Der junge Bursche sah von ihr zu dem Brief in ihrer Hand. Er war sichtlich hin- und hergerissen zwischen seiner Pflicht, die Residenz des Viscounts von jeglichem Verdacht freizuhalten, und eine vermeintliche Lady so zu behandeln, wie es ihr zukam. Und er hatte eindeutig wenig Erfahrung in derlei Dingen, wenn überhaupt. Wahrscheinlich war dieser Mann der beste Butler, den Lancaster sich leisten konnte.
»Folgen Sie mir bitte in den Morgensalon, Lady Denmore. Lord Lancaster wünscht gewiss, dass Sie sich mit ein wenig Tee wärmen, solange Sie warten.«
Emma atmete erleichtert auf und stellte zu ihrem Unglück fest, dass ihr allein bei dem Gedanken an Tee und ein warmes Zimmer die Tränen kamen. »Danke.«
Der Butler nahm ihre Nachricht und den Umhang und führte sie in einen in Gelb gehaltenen Raum, bevor er seinen Herrn weckte.
Sie würde wohl länger warten müssen, und Emma war froh, dass ihr Zeit blieb, sich zu fassen. Lancaster bräuchte eine Weile, um ihre Nachricht zu lesen und sich anzukleiden. Vielleicht wollte er sich auch erst einmal mit einer Tasse Tee stärken.
Das Hausmädchen brachte ihr Tee und warme Brötchen. Emma aß sie sofort, weil sie wie ausgehungert war. Kaum hatte sie sich die Krümel abgetupft, trat Lancaster ins Zimmer.
»Lady Denmore?«
Sein Anblick machte Emma sprachlos. Der Mann war gewöhnlich der Inbegriff von Eleganz und Förmlichkeit, nicht aber heute Morgen. Er trug Stiefel und eine weite Hose, ein zerknülltes weißes Hemd und einen schwarzen Gehrock. Womit die Förmlichkeit auch schon endete. Das Hemd stand ihm bis zur Brustmitte offen, sein blondes Haar war zerzaust, und hellbraune Stoppeln schimmerten auf seinem Kinn und den Wangen. Zudem hätte Emma schwören können, dass sie einen Rouge-Flecken auf seinem Hemdkragen sah.
»Lady Denmore, was ist passiert?«
Sie löste ihren Blick von dem Dreieck nackter Brust, auf das sie eigentlich nicht starren wollte. »Ich … ich brauche Ihre Hilfe, Lancaster.«
Er nickte, was ein wenig ungeduldig wirkte. »Natürlich. Sind Sie in Schwierigkeiten? In Gefahr?«
»Nein, ich …« Ihre Nerven waren zum Zerreißen angespannt, deshalb sprang Emma auf. »Verzeihen Sie, dass ich zu solch einer unziemlichen Zeit herkomme.«
»Um Gottes willen, Lady Denmore, nun sagen Sie mir schon, was los ist!«
Sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte. »Bitte, nennen Sie mich Emma.«
»Emma.« Bei ihm
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