Verfuehrung in Gold
unendlicher Erleichterung und einer seltsamen Sehnsucht. Sie hatte sämtliche Vorkehrungen getroffen, die ihr die Kräuterfrau geraten hatte, und Hart hatte seine eigenen getroffen. Entsprechend war sie unsagbar froh gewesen, als ihre Monatsblutung einsetzte, hatte aber zugleich das Gefühl, eine Tür zwischen ihr und ihrer Vergangenheit würde krachend zugeschlagen. Vor ihrer gesamten Vergangenheit.
Emma Jensen gab es nicht mehr. Auch nicht Emily oder die falsche Lady Denmore. Sie war jetzt schlicht die Witwe Kern. So falsch wie Lady Denmore und doch so ganz, ganz anders.
Sie stach den Spaten tief in den Boden und wunderte sich, wie sehr sie sich verändert hatte. Ihr Verlangen nach Hart war nicht verblasst. Die Nacht mit ihm hatte vielmehr all die entsetzlichen Sehnsüchte in ihr geweckt, vor denen sie sich stets gefürchtet hatte. Und dennoch …
Es war eigentlich nicht das, was sie befürchtet hatte. Sie wollte Dinge von ihm, fantasierte und träumte von den Versprechen künftiger Wonnen, die er ihr gab. Gedanken an ihn erregten sie. In London zu bleiben hätte bedeutet, dass sie verloren gewesen wäre, genau wie sie befürchtet hatte.
Aber da schien die Verderbtheit auch schon zu enden. Sie ertappte sich nicht dabei, wie sie Männer aus dem neuen Dorf voller Verlangen beäugte. Eher scheiterte sie bereits kläglich bei dem Versuch, sie auch nur mit einem Anflug von Leidenschaft zu sehen. Die halb nackten jungen Männer, die im Meer badeten, verlockten sie zu nichts, was einer Sünde auch bloß nahekam.
Das tat nur Hart.
Der salzige Wind verwehte ihren Seufzer, und Emma lehnte ihren Spaten an das graue Holz ihrer Cottagemauer. Sie würde das Haus diesen Sommer kalken lassen, um es vor dem ständigen Wind zu schützen, aber ihr würde der silbrige Glanz der ausgewaschenen Bretter fehlen.
Emma band ihre Schürze ab und winkte Bess durchs Küchenfenster zu. Dann ging sie direkt zu dem Pfad, den sie bereits in das Gras getreten hatte.
Bess konnte den Zauber des schmalen Klippenpfades und des steinigen Strands unten nicht verstehen. Sie brechen sich noch den Hals , warnte sie Emma dauernd, aber Emma dachte, dass die Belohnung das Risiko wert war.
Unten auf dem schmalen Sandstreifen fühlte sie sich frei. Was insofern seltsam war, als sie keine zweihundert Meter in jede Richtung gehen konnte. Aber der stete Wind, die Schreie der Möwen und der merkwürdig grüne Geruch in der Luft … das alles füllte sie aus, belebte die Leere in ihr und beruhigte sie. Sie war wieder jung, sieben Jahre alt und glücklich. Sie war sicher, wurde geliebt.
Leider schien sie dieses Gefühl nicht mit in ihr Zimmer hinaufnehmen zu können, damit es sie nachts tröstete.
»Dieser Ort ist gut«, flüsterte Emma, als sie den Weg hinunterging. Sie rutschte auf den Kieselsteinen aus, und sie fiel gegen die raue Klippenwand, aber das hielt sie nicht auf. »Mein Leben ist gut«, murmelte sie stattdessen und war entschlossen, es wahr zu machen. Bald wäre London nur noch eine ferne Erinnerung, Hart nicht mehr als … als …
»Eine Fußnote«, sagte sie, genoss die Grausamkeit dieses Wortes und versuchte, sich selbst davon zu überzeugen.
Etwas kitzelte in ihrem Nacken. Sie wischte es fort, doch das Gefühl blieb. Es war sicher Nervosität, ihren Schuldgefühlen entsprungen. Sie hatte gelogen, betrogen und Menschen benutzt. Obwohl sie sich sagte, dass Hart ein mächtiger, unsensibler Mann von Welt war, ließ sich ihre brennende Scham nicht leugnen. Sie hatte ihn verletzt, auch durch ihr Verschwinden.
Sie rieb ihren Nacken, aber das Gefühl blieb, selbst während der Stunde, die sie damit verbrachte, auf die von Gischt gekrönten Wellen zu blicken.
Er hatte in Scarborough angefangen, weil er sicher war, dass Emma von den vielen Badegästen angezogen wurde. Dort gab es einiges an Geld zu erspielen und Schwierigkeiten zu bekommen, auch wenn die Gäste um diese Jahreszeit weniger wohlhabend waren, als sie es aus London gewohnt war. Aber vielleicht waren die Kaufleute lebhafter und ließen sich eher von ihren vornehmen Manieren blenden. Falls sie es schaffte, Letztere über längere Zeit beizubehalten.
Doch sie war nicht in Scarborough. Seine Woche dort war reine Verschwendung gewesen. Er hatte keine Spur von ihr entdeckt, keinen Beweis, dass sie auch bloß durchgereist war. Jetzt wanderte er ziellos umher.
Und er wusste nicht einmal, wen er finden würde, falls er sie fand. Sie war nicht die Frau, für die er sie gehalten hatte. Sie
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