Verfuehrung in Gold
war ein Mädchen, eine Tochter, eine Nichte und eine stille junge Frau, an die man sich in ihrem Dorf gern erinnerte.
Sie war weder eine Witwe noch eine Verführerin noch eine Diebin, war nicht weltgewandt oder erfahren. Das sinnliche Wissen, das Hart in ihr zu erkennen meinte, war nichts als das Echo ihrer Kindheit in einer Lasterhöhle. Zumindest hoffte er das. Ja, er hoffte, sie hätte nur gesehen und gehört, was dort vor sich gegangen war.
Dennoch nagte etwas an ihm. Er war einmal im Denmore-Haus gewesen, einem riesigen Klotz aus kalten Granit und zinnenartigen Türmen, entsann sich jedoch an kaum mehr als finstere Korridore und noch finsterere Gäste. Alle anderen Erinnerungen waren wenige Tage später überlagert worden, als er seiner Geliebten einen Antrag machte und mit Verzweiflung statt Freude belohnt wurde.
Ungeachtet dessen war er sicher, dass Emmas Kindheit ganz und gar nicht so gewesen war, wie sie hätte sein sollen. Zuerst starb ihre Mutter, dann verunglückten ihr Vater und ihr Bruder. Sie wurde zu einem Fremden geschickt, einem Großonkel, dem sie nie zuvor begegnet war. Aber wenigstens schien sie bei ihm glücklich gewesen zu sein – für eine kurze Zeit.
Hart war es unmöglich, sie noch zu hassen. Eigentlich wusste er überhaupt nicht, wie er empfinden sollte. Er wollte sie nur sehen und …
Und was?
Wann immer er darüber nachdachte, schmerzte ihm die Brust und fiel ihm das Atmen schwer. Und so reiste er weiter und suchte eine Frau, die nicht gefunden werden wollte. Eine Frau, die alle seine Schutzmauern zum Einsturz gebracht hatte.
»Noch eine Meile, Durchlaucht«, rief der Kutscher.
Hart nickte gedankenverloren. Er war ziemlich sicher, dass er hier nichts finden würde, genau wie sie in den anderen Hütten, Herrenhäusern und Cottages auch nichts gefunden hatten. Jede Spur mutete zunächst vielversprechend an, jeder Grundstücksmakler beteuerte, er hätte mit ebendieser Frau verhandelt, die Hart beschrieb. Aber nach einer Woche, in der sie die Küste hinauf und hinab gefahren waren, durch jedes Dorf und jeden Weiler, hatten sie zwei Witwen, mehrere Dirnen und eine Frau aufgespürt, die alt genug war, um Harts Großmutter zu sein.
Sie war nicht hier, und wenn sie nicht an der Küste von Yorkshire war, könnte sie genauso gut nach Amerika gesegelt sein.
Bei Gott, wahrscheinlich war sie nach Amerika geflohen! Und es würde seine Mittelsmänner Jahre kosten, sie aufzuspüren, falls es ihnen jemals gelang. Ein dumpfer Kopfschmerz setzte hinter seinem linken Auge ein.
»Da vorn ist es, Sir. Soll ich vorbeifahren?«
»Ja.« Verdrossen richtete er sich auf. Grünes Gras, windschiefe Bäume; seit sieben Tagen blickte er auf die gleiche Landschaft. Hühner pickten im Garten, und Harts Sicht verschwamm.
Die Rückseite eines Hauses tauchte auf. Zwei Frauen standen gebückt inmitten der Furchen und Hügel des Gartens und arbeiteten. Eine von ihnen sah aus … Hart beugte sich zum Fenster hinaus, bis der Wind über seine Wangen strich. Eine von ihnen sah wie Bess aus, und die andere …
Sie trug einen breitkrempigen Hut und hatte eine fleckige Schürze um ihre Taille gebunden. Ihr Kleid war schlicht und anständig, aus blauem Musselin mit kleinen grünen Blättern.
Es konnte nicht sie sein, die da wie die Frau eines Viehhirten im Garten arbeitete. Sie war die Tochter eines Barons, eine Adlige. Dann fielen Hart die wilden Geschichten ein, die man sich im Zusammenhang mit dem Brand bei ihrem Onkel erzählte. Und dass Mr Bromley ihre Begeisterung für die Gartenarbeit angesprochen hatte.
Aber das Kleid, die Hühner und der verwitterte Hut? Dann blickte sie auf und … und es war Emma. Ihre verwunderte Miene nahm einen erschrockenen Ausdruck an, als sie das Wappen auf der Kutsche sah.
»Halt«, befahl Hart, und die Kutsche rollte aus, während blanke Angst auf Emmas Züge trat.
Er hörte sie »Bess«, sagen, da setzte er bereits einen Fuß auf den Feldweg.
Emma ließ ihren kleinen Eimer mit Unkraut fallen und lief zum Haus, als Hart die Kutschentür zuschlug. Daraufhin erstarrte sie.
Seltsamerweise empfand Hart so gut wie nichts. Er fühlte sich vielmehr ganz wie der eiskalte Lord, als er auf sie zuging: undurchdringlich und herzlos. »Ich suche seit Wochen nach dir, Emma. Und jetzt habe ich den Eindruck, du wirst mir erzählen, dass du keine Besucher empfängst.«
Ihre Schultern hoben und senkten sich unter ihren angestrengten Atemzügen, und ihre bleichen Finger zuckten an ihrem
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