Verführung pur
dass sie zumindest versuchen sollten, ob eine Beziehung zwischen ihnen funktionieren könnte. Und nichts in der Welt würde ihn davon abhalten, diese Lippen noch einmal zu küssen.
5. KAPITEL
Mia strich sich mit dem Zeigefinger über die Lippen, als könnte sie noch den Kuss spüren. Dabei lag Seth Chandlers letzter Kuss schon zwei Tage zurück. Sie war in das Kunstmuseum von Tampa gegangen, um ihn endlich aus ihren Gedanken zu vertreiben, doch bisher erwiesen sich ihre Versuche als vergebens. Besser gesagt: Sie hatten kläglich versagt.
Sie stand vor einem postmodernen Gemälde und betrachtete die rätselhaften, düsteren Formen, die in ihr unwillkürlich die erotischsten Erinnerungen wachriefen. In der antiken Abteilung war es auch nicht besser gewesen, denn dort hatte jede eindrucksvolle Männerstatue vor Mias Augen Seths Gesichtszüge angenommen. Ihre Fantasie wollte sich einfach nicht von ihm wegbewegen.
Dann fiel ihr Blick auf den Titel des Gemäldes, das ihr so befremdlich erotisch erschien:
Der Voyeur
. Sie selbst könnte sich lebhaft vorstellen, ein wenig Voyeurismus zu betreiben, sofern das Objekt ihrer Begierde der attraktive Pirat sein sollte.
Der Samstagabend war viel zu kurz gewesen. Bis jetzt saß ihr der Schreck noch in den Knochen, als Seths Onkel plötzlich durchs Megafon gerufen hatte. Sie war beinahe von der Bank gefallen.
Wie sich später herausstellte, war Brock Chandler ein ausgesprochen sympathischer Mann, auch wenn er auf den ersten Blick ein wenig grob wirkte. Er hatte Seths Yacht in Schlepp genommen und sie zurück nach Tampa gebracht. Das war zwar kein besonders romantisches Ende eines vielversprechenden Abends gewesen, aber Mia musste zugeben, dass sie jede Menge Spaß gehabt hatte.
Ebenso würde sie freimütig eingestehen, dass sie sehr wohl an einer Beziehung zu Seth Chandler interessiert wäre, wenn ihre gegenwärtigen Umstände nicht so vehement dagegen sprächen. Immerhin steckte sie inmitten einer beruflichen und familiären Krise. So war ihr nichts anderes übrig geblieben, als Seth einen Gutenachtkuss zu geben – der kurz und harmlos ausfiel, weil Brock dabeistand – und sich für immer von ihm zu verabschieden.
Wenigstens war ihr ein unfreiwilliger Auftritt in den Spätnachrichten erspart geblieben. Schließlich reichte es schon, sollten ihre Großeltern sie in den Nachmittagsnachrichten gesehen haben.
Sie blickte wieder auf das Gemälde und fragte sich, was aus ihrem festen Vorhaben geworden war, noch an diesem Wochenende einen nackten Mann zu sehen. Dass sie dazu ins Museum gehen musste, kam einem Armutszeugnis gleich. Was sollte man wohl vom Privatleben einer jungen Frau halten, die das nötig hatte?
Wie dem auch sei, bevor sie zu ihrem Termin mit der Bank um drei Uhr ging, würde sie noch einmal durch die antike Abteilung gehen und sich einen letzten Blick auf die wunderschönen Statuen gönnen.
In diesem Augenblick vibrierte das Handy in ihrer Handtasche. Mia kramte es heraus und ging zu einem der Fenster, wo sie telefonieren konnte, ohne die anderen Museumsbesucher allzu sehr zu stören. Von hier sah man direkt auf den Hillsborough-Fluss.
“Hallo?” Sie hatte das Handy nur mitgenommen, um für ihre Großeltern erreichbar zu sein. Niemand sonst kannte die Nummer, und so dachte sie sofort, es müsste etwas Fürchterliches passiert sein.
“Also, ich habe zwar an einer renommierten Universität studiert und einen Titel in der Tasche, aber ich verstehe beim besten Willen nicht, wie diese verdammte Computerkasse funktioniert”, erklang Noelle Quentins Stimme vom anderen Ende.
“Hi, Mom”, antwortete Mia seufzend.
“Glaub mir, Mia, ich versuche dich nach Kräften zu vertreten, aber wie soll ich irgendetwas richtig machen, wenn die ganze Zeit dein Großvater hinter mir steht und mir mit seinem Ich-habe-es-ja-gleich-gesagt-Blick Löcher in den Rücken bohrt? Was soll ich denn tun? Diese verdammte Computerkasse weigert sich, irgendetwas zu tun. Stattdessen kriege ich eine dämliche Fehlermeldung nach der anderen.”
Mia konnte das Klackern der Tastatur und das prompte Piepen des Computers hören.
“Denk an Grandpas Magengeschwür, Mom. Er darf sich nicht aufregen.” Sie blickte zum anderen Ufer des Flusses hinüber, wo das Universitätsgelände lag, und fragte sich, ob sie wohl jemals für länger als ein Wochenende aus Twin Palms herauskommen würde.
“Dieses Magenschmerzentheater ist kein Geschwür, sondern emotionelle Erpressung. Darin war er immer
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