Verführung pur
ich auch schreiend weglaufen.”
“Vielen Dank! Was heißt hier überhaupt schwache Figur?”, fragte Seth gereizt.
Brock steuerte die kleine Anlegestelle hinter dem Parkplatz der Bank an. “Das heißt, dass ein Mann, bei dem sage und schreibe
fünf
Frauen ein- und freiwillig wieder ausgezogen sind, auf jede halbwegs vernünftige Frau wie der blanke Horror wirkt.”
“Wir reden hier über die letzten
zehn
Jahre, das ist dir doch hoffentlich klar!” Dummerweise verlief dieses Gespräch vollkommen anders, als Seth beabsichtigt hatte. Verärgert riss er ein Blatt aus seinem Notizblock und formte daraus eine Papierkugel. Er zielte auf den Mülleimer, aber beim Abwurf erschien wieder einmal Mias Gesicht vor seinem inneren Auge. Die Papierkugel prallte vom Rand des Eimers ab und kullerte über Deck.
“Verdammt, mir war es wirklich jedes Mal ernst mit meinen Beziehungen. Immerhin bin ich nicht gleich mit jeder Frau ins Bett gestiegen, wie es manch anderer Chandler zu tun pflegte – ohne Rücksicht auf Verluste.”
Seths Anspielung zielte vor allem auf seinen Vater, aber auch auf seinen jüngeren Bruder Jesse.
“Guck mich nicht so an”, erwiderte Brock und hob abwehrend die Hände. “Auf mich sind die Frauen nie geflogen, also hätte ich deine beachtliche Liste sowieso nicht zusammengebracht. Aber verrat mir bitte mal, warum du meine Hilfe brauchst, um die eine Frau wiederzufinden, die sich rechtzeitig aus dem Staub gemacht hat.”
Seth hob die Papierkugel auf und wollte einen neuen Versuch starten. Plötzlich hatte er es gar nicht mehr so eilig, von Bord zu kommen. Erst wollte er seinen “Korb” werfen.
“Was glaubst du wohl, warum? Du hast acht Jahre lang bei der Polizei gearbeitet, bevor du dich auf dieses Boot zurückgezogen hast. Also weißt du, wie man Leute ausfindig macht, die nicht im Telefonbuch stehen.” Er warf, aber diesmal kam ihm eine Windböe in die Quere, die den Ball nach links abtrieb.
Brock vertäute das Boot mit der Behändigkeit eines Mannes, der sein ganzes Leben auf einem Schiff verbracht hatte. “Vielleicht will sie ja nicht, dass du sie findest.”
“Dann werde ich sie vom Gegenteil überzeugen müssen”, erwiderte Seth prompt und dachte an all die Küsse, die er noch von Mia haben wollte. “Komm schon, Brock, du weißt, dass ich ohne dich keine Chance habe.”
Brock verschränkte die Arme vor der Brust und neigte den Kopf zur Seite, als müsste er die Für und Wider genau abwägen. “Wie stehen denn die Aktien, die du für mich gekauft hast?”
“Dein Depot macht so viel Gewinne, dass du dir eine eigene Flotte zulegen könntest.”
Brock nickte. “Das beruhigt mich. Sie heißt Mia Quentin, richtig?”
“Ja. Und sie ist Künstlerin.” Mit diesen Worten versuchte Seth seinen dritten Wurf und traf mitten in den Mülleimer.
“Willst du dich jetzt etwa mit mir über Kunst unterhalten?”
“Klar doch. Sobald ich mir den Fischgestank abgeduscht habe.” Seth hatte seine Aktentasche gegriffen und sprang von Bord. “Ich muss mich beeilen, wenn ich zeitig zur Sitzung erscheinen will. Vielen Dank schon mal im Voraus, Brock.”
Seth sprintete zum Hochhaus der Bank. Im Keller befanden sich Fitnessräume und Duschen, wo er sich frisch machen und umziehen konnte, bevor er die Vorstandsetage ansteuerte. Er war zuversichtlich, dass Brock Mia finden würde, und dann konnte er zu ihr fahren. Er brauchte eine zweite Chance, sie besser kennenzulernen und herauszufinden, ob eine Beziehung zwischen ihnen eine Zukunft haben könnte.
Außerdem musste er ihr endlich sagen, wer er wirklich war und womit er seinen Lebensunterhalt verdiente. Dieser Teil dürfte nicht allzu schwierig werden, denn welche Frau wäre schon beleidigt, wenn sie erfuhr, dass ihr “Pirat” unmittelbar vor der Aufnahme in die Liste der 500 reichsten Amerikaner stand?
Tja, Carmen durfte sich auf eine Überraschung gefasst machen.
Heute kann ich keine weiteren Überraschungen mehr verkraften, dachte Mia, als sie in der Schalterhalle der Bank auf ihre Kreditsachbearbeiterin wartete.
Kredite wurden schließlich dauernd verlängert, und deshalb gab es auch keinen Grund, weshalb sie so unerträglich nervös war. Wahrscheinlich ging es ihr besser, wenn sie erst einmal mit der Kundenberaterin zusammensaß. Mia betrachtete die Visitenkarte in ihrer Hand. Anna Beth Stanton – Gulf Coast Bank – stand dort. Unten war noch eine Zeile: Ein Tochterunternehmen von Chandler Enterprises?
Der Name war ihr vorher nie
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