Verführung pur
braucht der Beachcomber keine Finanzspritze. Sobald der Laden ein bisschen aufgemöbelt ist, wird er sich selbst tragen. Und bis dahin werden wir auch so über die Runden kommen, ohne auf Geld von außen angewiesen zu sein.”
Noelle drehte sich um und blickte auf die Schaufensterfront des Geschäfts, das einmal der Traum ihrer Eltern gewesen war. Mia versuchte den Souvenirladen möglichst objektiv zu betrachten. Sie war in der Wohnung über dem Geschäft aufgewachsen und hatte dort gelebt, bis sie zum College ging. Heute lebte sie in einem umgebauten Bootshaus hinter dem Yachthafen, doch das Haus mit dem Laden kam ihr immer noch wie ihr eigentliches Zuhause vor.
Die wettergezeichneten Zedernschindeln waren nach wie vor intakt, aber das Ladenschild war verblichen und wirkte ausgefranst, und die Schaufensterscheiben hatten seit dem letzten Hurrikan einige Risse davongetragen.
“Der Beachcomber wird sich niemals selbst tragen, es sei denn, du modernisierst ihn komplett – und zwar von innen und außen. Das Angebot ist hoffnungslos veraltet, genauso wie alles andere auch, ob du es nun wahrhaben willst oder nicht, Mia.”
Noelle griff nach der Reisetasche und ging hinein, gefolgt von Mia, die ihre Handtasche und die Papiere trug. “Ich weiß, dass du die Gefühle deiner Großeltern nicht verletzen willst”, fuhr Noelle fort. “Aber irgendjemand muss es ihnen sagen. Irgendjemand, Hauptsache ich bin es nicht. Wie war deine Reise?”
Aufregend, weil ich einem fantastischen Mann begegnet bin, und enttäuschend, weil ich ihn nicht nackt gesehen habe, dachte Mia, sprach es jedoch nicht aus. Und beängstigend, denn sie fürchtete, Seth nie wieder vergessen zu können.
Aber welche Tochter band so etwas ausgerechnet ihrer Mutter auf die Nase?
“Ganz nett, danke”, antwortete Mia, die nicht vorhatte, Seth auch nur zu erwähnen. Dass er ihr Leben auf den Kopf gestellt hatte, genügte schon. Da kam sie bestens ohne gute Ratschläge von Noelle aus. “Zumindest hat die Bank mir ein paar Wochen Fristverlängerung gewährt. Sollte es mir also gelingen, ein kleines Wunder zu bewerkstelligen, werden sie den Laden nicht schließen.”
Noelle ließ die Tasche fallen, die mit einem dumpfen Plopp auf den Holzstufen des Hintereingangs landete. “Sieht es wirklich so finster aus?”
Mia blieb stehen, um nicht über die Tasche zu stolpern. Darin befanden sich die aufreizenden Sachen, die sie eigens für ihr Wochenendabenteuer gekauft hatte. Sie mussten zukünftig ein trostloses Dasein im Schrank fristen. Ein riesiger Berg Arbeit wartete auf Mia, und dabei würde sie wohl nicht sonderlich erpicht darauf sein, verführerisch und sexy auszusehen.
“Das kann man so sagen, aber mach dir keine Sorgen. Die drohende Schließung ist vielleicht genau der Ansporn, den ich brauche, um mich gegen Grandpa und Grandma zu behaupten, was die Modernisierung angeht. Außerdem habe ich über die letzten paar Jahre schon einige Prospekte gesammelt, aus denen ich ein neues Angebotssortiment zusammenstellen könnte.”
Noelle nickte unterdes so energisch, als wollte sie sich damit selbst überzeugen, dass alles gut werden könnte. Dann nahm sie die Tasche wieder auf und sagte: “Ich bin sicher, dass es machbar ist. Hauptsache, deine Großeltern lassen sich endlich dazu bringen, den albernen Touristenquatsch aus den Regalen zu räumen, der seit mindestens fünfzehn Jahren veraltet ist. Und egal wie sehr sie sich sträuben, ich stehe voll hinter dir.”
“Aber Grandpa und Grandma zu überzeugen dürfte eine ziemlich harte Nuss werden.”
“Weil du sie zu lange mit Glacéhandschuhen angefasst hast, Mia. Ich schätze, sie haben gar keine Ahnung, wie ernst die Lage ist. Sobald sie begreifen, dass der Laden so gut wie bankrott ist, werden sie einsehen, dass kein Weg um eine Modernisierung herumführt.” Sie öffnete die Tür, doch bevor sie ins Geschäft gingen, fragte sie: “Und jetzt sag mir bitte, dass du wenigstens etwas Vergnügen hattest, von dem du während der grauenhaften Wochen, die dir bevorstehen, zehren kannst.”
Das war wieder typisch Noelle: Sie interessierte sich weit mehr für Mias Männergeschichten als fürs Geschäft. Manchmal konnte man fast glauben, sie dachte ihr Leben lang nur an ihr Vergnügen und lehnte jede Verantwortung ab, weil sie ihr langweilig erschien.
Ehe Mia antworten konnte, kam Frankie Bollino, der Hafenmeister, aus dem Laden. “Spricht hier jemand von Mia und Vergnügen in ein und demselben Satz? Wenn du
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