Verführung pur
mich fragst, Noelle, weiß Mia überhaupt nicht mehr, wie man ab und zu ein bisschen Vergnügen hat.” Er zwinkerte Mia lächelnd zu. “Oder hast du vielleicht eine wilde, sinnliche Seite, die du uns bisher verheimlichst?”
Mia trat einen Schritt zurück, sodass sie an das klapprige Holzgeländer stieß. Seit ihrer Rückkehr nach Twin Palms vor drei Jahren war Frankie geradezu versessen darauf gewesen, ihre angeblich wilde Seite zu entdecken. Zu allem Überfluss hielten ihre Großeltern ihn auch noch für einen prima Kerl, und das nur, weil er von hier war. Für die beiden zeichnete sich der ideale Junggeselle allein dadurch aus, dass er sein Leben lang an seinem Geburtsort blieb.
Norman und Betty Quentin hielten nicht das Geringste von Abenteuern – zumindest nicht, wenn es um ihre Tochter und ihre Enkelin ging.
“Mach dir keine Hoffnungen”, sagte sie schließlich. “Ich habe meine Freizeit genutzt, meine Einkommenssteuererklärung vorzubereiten und mir ein neues Adressbuch anzulegen.”
Frankie verdrehte die Augen und ging die Stufen hinunter. Dann drehte er sich noch einmal um und fragte: “Soll ich dein Gepäck mit zum Bootshaus nehmen? Ich kann es dir auf die Terrasse stellen.”
Mia musste zugeben, dass er wirklich ein netter Kerl war – aber eben nicht der richtige Mann für sie. “Gern, danke”, murmelte sie, doch da hatte er die Tasche bereits geschnappt und war die Treppe hinunter.
“Frankie ist richtig süß”, sagte Noelle, als die beiden Frauen in den Laden gingen.
Süß mochte er sein, aber er war nun einmal nicht Seth. Und für Mia gab es keinen anderen Mann außer jenem zweigesichtigen Finanztycoon, der um ein Vielfaches reicher war als sie arm. Doch auch ihn würde sie bis auf Weiteres aus ihren Gedanken verbannen müssen, wenn sie die Arbeit bewältigen wollte, die auf sie zukam. Und sobald sich der Beachcomber halbwegs stabilisiert hatte, konnte sie anfangen, an ihr Leben und ihre Kunst zu denken.
Bis dahin konnte sie gut darauf verzichten, dass ein Mann die Dinge unnötig verkomplizierte. Das tat ihre Familie schon zur Genüge.
Als sie hineinkamen, betrachteten ihre Großeltern gerade das Vorführmodell eines neuen Brettspiels, und Mia atmete tief durch. Sie wünschte, sie könnte den beiden bessere Neuigkeiten überbringen. Ihre Großeltern hatten so viele Opfer gebracht, um sie großzuziehen und sie auf die besten Schulen zu schicken. Hoffentlich verstanden sie, weshalb ihr geliebter Souvenirladen von oben bis unten umgekrempelt werden musste! Immerhin ging es Mia vor allem darum, ihnen den Ruhestand zu ermöglichen, den sie verdient hatten.
Leider musste sie dafür zunächst einen Familienkrieg riskieren.
Entschlossen verbannte sie alle Bilder von Piraten und nackten Männern aus ihrem Kopf und stürzte sich kopfüber ins kalte Wasser.
“Die Bank sagt, wir haben nur noch wenige Wochen Zeit, bevor sie das Konkursverfahren einleiten. Aber die Kreditsachbearbeiterin meinte, falls es uns gelingt, das Geschäft den heutigen Anforderungen entsprechend umzugestalten und zu beweisen, dass es sich trägt, würden sie vielleicht über einen erweiterten Kredit nachdenken.”
“Mia Teresa Quentin, du solltest dich schämen”, sagte Betty Quentin streng und richtete sich auf. Sie klopfte gereizt mit dem Gehstock gegen ihren Fuß. Sie war deutlich über siebzig, und ihre tiefen Falten sowie das silbergraue Haar machten daraus kein Geheimnis. Doch ihre aufrechte Haltung und ihre stets korrekte, wenn auch bewusst leger gewählte Kleidung ließen auf den ersten Blick erkennen, dass sie stolz auf ihr Alter war. “Mein Telefon hat in einer Tour geklingelt, weil jeder mir erzählen wollte, dass du im Fernsehen warst – und zwar auf dem Gasparilla-Festival, in den Armen eines halb nackten Piraten.”
Alles – nur das nicht, dachte Mia. Hatte sie bis eben noch geglaubt, sie wäre gewappnet, ihre Großeltern schonungslos mit dem Ernst der Lage zu konfrontieren, so stand sie jetzt ziemlich dumm da. Ihre Großmutter hatte sie innerhalb von Sekunden entwaffnet.
Noelle sah sie lächelnd an. “Na komm, lass uns die ganze Geschichte hören. Hast du es trotz aller Warnungen von Grandma geschafft, dir ein paar schöne Stunden zu machen?”
“Noelle, bitte. Wir machen uns ernstlich Sorgen um Mia”, fuhr ihre Mutter sie an, legte ihrem Mann den Gehstock in den Schoß und ging zu ihrer Enkelin. Dann nahm sie sie in den Arm und fragte: “Das war doch bestimmt so eine alberne Werbeaktion,
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