Verfuehrung
strich zart mit ihrem Mund über seine Lippen. »Ich werde dich nie betrügen«, flüsterte sie.
»Dann gibt es doch wohl keinen Grund mehr, daß wir nicht gut miteinander auskommen.« Er nahm sie in die Arme, zog sie eng an seinen harten Körper. Sein Mund bemächtigte sich des ihren, schwer und fordernd und seltsam drängend.
Als Julian schließlich einige Zeit später den Kopf hob, war da dieses vertraute Funkeln in seinen Augen.
»Julian?«
»Ich glaube, o treueste aller Gemahlinnen, daß es Zeit ist, nach Hause zu gehen. Ich habe Pläne für den Rest dieses Abends.«
»Ach, wirklich, Mylord?«
»So wahr ich Julian heiße.« Er nahm ihren Arm und führte sie mit so langen Schritten zum Ballsaal zurück, daß Sophy rennen mußte, um mithalten zu können. »Ich glaube, wir werden uns sofort von unsrer Gastgeberin verabschieden.«
Aber als sie kurze Zeit später zu Hause ankamen, empfing sie Guppy mit ganz uncharakteristisch besorgter Miene.
»Da seid Ihr ja, Mylord. Ich wollte gerade einen Lakaien in Euren Club schicken. Eure Tante, Lady Sinclair, ist schwer erkrankt, und Miss Rattenbury hat schon zweimal einen Boten geschickt und um die Hilfe von Mylady gebeten.«
Fünfzehn
Julian lief ruhelos in seinem Schlafzimmer auf und ab. Es war ihm klar, daß er nicht schlafen konnte, weil Sophy nicht im Zimmer nebenan lag. Wo sie sein sollte. Er fuhr sich mit der Hand durch sein zerzaustes Haar und fragte sich, wann und wie es soweit kommen konnte, daß er nicht mehr schlafen konnte, wenn sie nicht in der Nähe war.
Er ließ sich in einen Stuhl fallen, eine Arbeit des jüngeren Chippendale, den er vor ein paar Jahren in Auftrag gegeben hatte, als er und der Möbelmacher vom neoklassizistischen Stil sehr angetan waren. Der Stuhl war ein Symbol für den Idealismus seiner Jugend, dachte Julian in einem seltenen Moment der Einsicht.
Während derselben Zeit, die jetzt so fern schien, hatte er nächtelang über griechische und lateinische Klassiker diskutiert, sich in die liberale Politik der Whig Reformer gestürzt und es sogar als notwendig empfunden, zwei Männern Kugeln in die Schultern zu jagen, die gewagt hatten, Elizabeths Ehre zu schmähen.
In den letzten Jahren hatte sich viel geändert, dachte Julian. Er hatte nur noch selten Zeit und Lust, über Klassiker zu diskutieren, er war zu dem Schluß gekommen, daß die Whigs, auch die Liberalen, nicht weniger korrupt waren als die Tories, und er hatte längst eingesehen, daß die Vorstellung, Elizabeth hätte überhaupt Ehre besessen, einfach lächerlich war.
Er strich gedankenverloren über die wunderbar gearbeitete Mahagonilehne des Stuhls. Ein Teil von ihm reagierte immer noch auf die puren, klassischen Linien des Entwurfs, wie er überrascht feststellte. Genau wie ein Teil von ihm darauf bestanden hatte, sich mit einem Gedicht zu versuchen, das er Sophy mit dem Diamantarmband und der Kräuterkunde geben wollte.
Er hatte seit Cambridge und den Anfängen mit Elizabeth keine Gedichte mehr geschrieben; um ehrlich zu sein, er hatte nie ein Talent dafür gehabt. Nach ein oder zwei Versuchen hatte er das Papier zerknüllt und es weggeworfen und statt dessen den kleinen Brief zu den Geschenken für Sophy geschrieben.
Aber das war anscheinend noch nicht das Ende. Heute abend hatte er weitere beunruhigende Anzeichen dafür entdeckt, daß doch etwas von seinem jugendlichen Idealismus überlebt hatte, obwohl er alles versucht hatte, um ihn unter einer zynischen, realistischen Weltanschauung zu begraben. Er konnte nicht abstreiten, daß etwas in ihm auf Sophys Forderung nach einem Beweis für die Anerkennung ihres Ehrgefühls reagiert hatte.
Julian fragte sich, ob er ihr hätte erlauben sollen, die Nacht bei Fanny und Harry zu verbringen. Aber er hätte wohl ohnehin keinen Einfluß auf ihre Entscheidung gehabt. Von dem Augenblick an, in dem Sophy Guppys Nachricht bekommen hatte, hatte es für Sophy nur noch eins gegeben, so schnell wie möglich an Fannys Bett zu eilen.
Julian hatte keinerlei Einwände gemacht. Er machte sich ernsthafte Sorgen um den Gesundheitszustand seiner Tante. Fanny war exzentrisch, unberechenbar und gelegentlich empörend, aber Julian mußte zugeben, daß er sie sehr gerne mochte. Seit dem Tod seiner recht alten Eltern war sie eigentlich das einzige Mitglied des Ravenwood Clans, an dem ihm wirklich etwas lag.
Nach Erhalt der Botschaft hatte Sophy nur rasch ihre Kleider gewechselt und ihre Zofe geweckt. Mary hatte ihr das Notwendigste
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