Verfuehrung
bewundern. Er war gekommen, weil er besorgt war, sie könnte zum Opfer eines der männlichen Raubtiere werden, die durch den Dschungel des Ton streiften.
Es war wirklich deprimierend, feststellen zu müssen, daß Julian den Rest des Abends mit ihr verbrachte, weil er all seine Besitztümer eifersüchtig hütete.
Vor einer Stunde waren sie nach Hause gekommen, und Sophy war sofort nach oben gegangen, um sich auf die Nacht vorzubereiten. Julian hatte nicht versucht, sie aufzuhalten. Er hatte ihr höflich eine gute Nacht gewünscht und war dann in die Bibliothek verschwunden. Ein paar Minuten zuvor hatte Sophy seine gedämpften Schritte auf dem mit Teppich ausgelegten Korridor vor ihrem Zimmer gehört.
Die freudige Erregung über ihren ersten großen Abend in der Gesellschaft verblaßte rasch, und das war in Sophys Augen nur Julians Schuld. Er hatte entschieden alles daran gesetzt, ihr die Freude gründlich zu verderben.
Sophy drehte am hinteren Ende des Zimmers um und schritt zurück zu ihrem Toilettentisch. Ihr Blick fiel auf das kleine Schmuckkästchen und verharrte schuldbewußt darauf. Sie konnte nicht abstreiten, daß sie bei all der Hektik und Aufregung ihrer ersten Woche in der Stadt als Gräfin von Ravenwood ihr Ziel, Amelia zu rächen, etwas ins Abseits verdrängt hatte. Im Augenblick war die Rettung ihrer Ehe das Wichtigste in ihrem Leben gewesen.
Natürlich hatte sie ihren Schwur, Amelias Verführer zu finden, nicht vergessen, sagte sich Sophy, nur hatten momentan andere Dinge den Vorrang.
Aber sobald ihre Beziehung zu Julian einigermaßen normal verlief, würde sie sich wieder der Suche nach dem Mann, der für Amelias Tod verantwortlich war, zuwenden.
»Ich habe dich nicht vergessen, liebe Schwester«, flüsterte Sophy. Sie hob gerade den Deckel des Kästchens, als sich die Tür hinter ihr öffnete. Sie drehte sich erschrocken um und sah Julian in der Verbindungstür zwischen ihren Zimmern stehen. Er trug einen Morgenmantel und sonst nichts. Der Deckel des Kästchens fiel mit einem Knall zu.
Julian warf einen Blick auf das kleine Kästchen und sah dann Sophy in die Augen. »Du brauchst nichts zu sagen, Schatz. Ich habe das schon früh am heutigen Abend begriffen. Verzeih mir, daß ich nicht daran gedacht habe, dir ein paar Schmucksachen zu geben, die du brauchst, um hier in der Stadt standesgemäß gekleidet zu sein.«
»Es war nicht meine Absicht, Euch um Schmuck zu bitten, Mylord«, sagte Sophy verärgert. Ehrlich, dieser Mann hatte eine Art, immer die irritierendsten Dinge vorauszusetzen. »Wolltet Ihr etwas von mir?«
Er zögerte einen Augenblick, ohne Anstalten zu machen, ins
Zimmer zu kommen. »Ja, ich glaube schon«, sagte er schließlich. »Sophy, ich habe viel über die unerledigten Geschichten zwischen uns beiden nachgedacht.«
»Geschichten, Mylord?«
Seine Augen wurden schmal. »Wär es dir lieber, wenn ich nicht um den heißen Brei herumrede? Na schön, ich habe sehr gründlich über die Angelegenheit des Vollzugs unserer Ehe nachgedacht.«
Sophy hatte plötzlich dasselbe flaue Gefühl im Magen wie an jenem Tag, als sie von einem Baum in den Fluß gefallen war. »Ich verstehe. Wahrscheinlich liegt das an all dem Gerede über Schafzucht bei den Yelverstones. Das hat euch wohl daran erinnert?«
Julian steckte die Hände in die Taschen seines Morgenmantels und ging langsam auf sie zu. »Heute abend ist mir das erste Mal klargeworden, daß dein Mangel an persönlicher Erfahrung im Ehebett ein großes Risiko für dich darstellt.«
Sophy blinzelte erstaunt. »Risiko, Mylord?«
Er nickte, dann nahm er einen Kristallschwan von ihrem Toilettentisch und drehte ihn gedankenverloren in der Hand. »Du bist viel zu naiv und viel zu unschuldig, Sophy. Du hast nicht die Erfahrung, die eine Frau braucht, um die Nuancen und Doppelbödigkeiten, die bestimmte Männer in die Unterhaltung einstreuen, zu verstehen. Es könnte nur allzu leicht passieren, daß du solche Männer unbewußt ermutigst, einfach nur, weil du nicht verstehst, was sie wirklich meinen.«
»Ich glaube, ich fange an zu begreifen, was Ihr meint, Mylord«, sagte Sophy. »Ihr glaubt, die Tatsache, daß ich noch keine richtige Frau in jedem Sinn des Wortes bin, könnte für mich ein gesellschaftliches Handicap sein.«
»So könnte man es ausdrücken.«
»Eine schreckliche Vorstellung. Etwa so, wie wenn man den Fisch mit der falschen Gabel ißt, könnte ich mir denken.«
»Etwas ernster, das kann ich dir versichern, Sophy. Wenn du
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