Verfuehrung
äußerst unwahrscheinlich«, murmelte Fanny. »Wir lassen uns nie auf Szenen ein, nicht wahr, Harry.«
»Du meine Güte, nein. Sehr unziemlich.«
»Genug«, sagte Julian barsch. »Ich habe gerade entdeckt, daß ihr bei Euren Mittwoch-Salons die Featherstone Memoiren studiert. Was, zum Teufel, ist denn aus Shakespeare und Aristoteles geworden?«
»Sie sind tot«, sagte Harriette freundlich.
Fanny ignorierte Sophys unterdrücktes Kichern und winkte gelangweilt ab. »Julian, wirklich, als einigermaßen gebildeter Mann müßtest du doch wissen, wie breit gefächert die Interessen eines intelligenten Menschen sind. Die ewige Suche nach Erleuchtung darf nicht durch Handschellen behindert sein.«
»Fanny, ich warne Euch. Ich will nicht, daß Sophy mit solchem Unsinn konfrontiert wird.«
»Es ist zu spät«, warf Sophy ein. »Bin ich schon.«
Er wandte sich mit grimmiger Miene zu ihr. »Dann müssen wir versuchen, die schlechten Nachwirkungen einzudämmen. Du wirst keine Fortsetzungen mehr lesen. Ich verbiete es.« Er erhob sich. »So, wenn die Damen mich jetzt bitte entschuldigen wollen. Ich glaube, ich werde mal nachsehen, wo Miles so lange bleibt. Ich bin gleich wieder zurück.«
»Lauf nur, Julian«, murmelte Fanny. »Wir kommen schon zurecht.«
»Ohne Zweifel«, stimmte er kühl zu. »Paßt bitte auf, daß Sophy nicht aus der Loge fällt, wenn sie wieder versucht, einen besseren Ausblick auf Charlotte Featherstone zu kriegen, ja?«
Er nickte kurz, warf Sophy einen wutentbrannten Blick zu und stolzierte aus der Loge. Sophy seufzte, als der Vorhang sich hinter ihm schloß.
»Er macht sehr gute Abgänge, nicht wahr?« sagte sie.
»Alle Männer machen gute Abgänge«, sagte Harriette und holte ihr Opernglas aus ihrer perlenbestickten Abendtasche. »Sie brauchen sie auch so oft, weißt du. Weg in die Schule, weg in den Krieg, weg in den Club, oder weg zu ihren Mätressen.«
Sophy ließ sich das durch den Kopf gehen. »Ich würde sagen, es war eher ein Fall von wegrennen als Weggehen.«
»Ausgezeichnet beobachtet«, sagte Fanny fröhlich. »Wie recht du doch hast, meine Liebe. Wir wurden gerade Zeuge eines echten strategischen Rückzugs. Julian hat solche Taktiken wahrscheinlich unter Wellington gelernt. Wie ich sehe, lernst du das Geschäft, Ehefrau zu sein, sehr schnell.«
Sophy schnitt eine Grimasse. »Ich hoffe doch sehr, ihr werdet Julians Anweisungen für unsere Lesestunde mittwoch nachmittags keine Beachtung schenken.«
»Mein liebes Mädchen, zerbrich dir bitte nicht den Kopf über solche Nichtigkeiten«, sagte Fanny gelassen. »Natürlich werden wir sie nicht beachten. Männer haben so begrenzte Vorstellungen von dem, was Frauen tun sollten, findest du nicht auch.«
»Julian ist ein guter Mann, an anderen gemessen, Sophy, aber er hat auch seine wunden Punkte«, sagte Harriette und hob das Opernglas an die Augen. »Natürlich kann man ihm das nicht verdenken, nach alldem, was er mit seiner ersten Gräfin mitgemacht hat. Außerdem fürchte ich, daß seine Kriegserfahrungen seine ohnehin sehr nüchterne Lebenseinstellung noch verstärkt haben. Julian hat ein sehr stark entwickeltes Pflichtbewußtsein, weißt du und... ah, da ist sie ja.«
»Wer?« fragte Sophy, die durch den Gedanken an Elizabeth und die Auswirkungen des Krieges auf Männer sehr abgelenkt war.
»Die Große Featherstone. Sie trägt heute abend Grün, wie ich sehe. Und das Diamanten- und Rubinkollier, das ihr Ashford geschenkt hat.«
»Wirklich? Wie wunderbar unverschämt von ihr, es zu tragen, nach all den Dingen, die sie in der zweiten Fortsetzung über ihn ge-schrieben hat. Lady Ashford muß tobsüchtig sein.« Fanny kramte rasch ihr Opernglas aus der Tasche und richtete es auf sie.
»Darf ich Euer Opernglas borgen?« fragte Sophy Harriette. »Ich hab nicht daran gedacht, eins zu kaufen.«
»Natürlich. Wir werden dir diese Woche eins besorgen gehen. Man kann einfach nicht ohne eins die Oper besuchen.« Harriettes Lächeln war heiter wie immer. »Hier gibt es soviel zu sehen. Man möchte doch nichts verpassen.«
»Ja«, stimmte Sophy zu, als sie das Glas auf die Frau in Grün richtete. »Soviel zu sehen. Ihr habt wirklich recht mit dem Kollier. Es ist ein Prachtstück. Man kann verstehen, daß sich eine Ehefrau beklagt, wenn sie entdeckt, daß ihr Gatte seiner Mätresse solche Klunker schenkt.«
»Insbesondere, wenn die Frau sich mit Juwelen von wesentlich geringerem Wert zufriedengeben muß«, sagte Fanny mit einem
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