Vergangene Narben
jetzt besprachen, sondern widmete sich dem offenen Bildschirm des zweiten Notebooks auf dem Tisch, auf dessen Bildschirm das Standbild von einem Video zu sehen war.
Ich schloss mich ihm einfach mal an, weil ich sonst nicht so wirklich wusste wohin mit mir.
Das Bild zeigte eine Frau in Großaufnahme. Vier Narben zogen sich über ihre Wange, und der Ausdruck in ihren Augen zeigte zwei Dinge. Zum einen Triumph, zum anderen – und das überwog – Entschlossenheit. Sie schien etwas zu rufen, aber da das Bild ja stand, wusste ich nicht was. Das jedoch änderte sich, als Cio nach dem Touchpad griff, das Video auf Start zurückstellte, und dann auf Play drückte.
Sofort drangen Rufe von Menschen, das Knurren von Wölfen, und der Schrei einer Frau an mein Ohr. Ich warf einen kurzen Blick zu den anderen, um sicher zu gehen, dass sie sich von uns nicht gestört fühlten, aber die waren viel zu sehr mit ihren eigenen Sachen beschäftigt, als sich um uns zu kümmern. Nur Diego bedachte seinen Sohn einen Moment mit einem argwöhnischen Blick, bevor er sich wieder dem eigentlichen Thema zuwandte.
Die Bilder in dem Video mussten von einer Handykamera stammen. Ständig ruckte das Bild hin und her, zeige Wölfe die sich bekämpften, Menschen die aufeinander losgingen, und mittendrin die Frau mit den Narben auf der Wange.
„Gräfin Xaverine“, sagte Cio leise. „Also sie steckt dahinter. Dieses Miststück.“
„Die Mutter von Cerberus?“
Das brachte mir von ihm einen überraschten Blick ein. „Woher kennst du
den
denn?“
„Von meinem Ball.“ Ich zuckte die Schultern. „Wir haben uns kurz unterhalten.“
„Halt dich bloß fern von dem.“
„Warum sagt mir das nur jeder“, murmelte ich leicht beleidigt vor mich hin, und widmete mich wieder dem Film.
Der Bildausschnitt zoomte ein wenig weiter weg, und erst jetzt erkannte ich, wo diese Aufnahmen gemacht worden waren: Im Hof der Werwölfe, dem Ort von dem wir vor ein paar Stunden geflohen war. Wie selbstverständlich schritt Gräfin Xaverine zwischen den Auseinandersetzungen auf das Portal des Schlosses zu. Schräg hinter ihr liefen zwei Frauen. Die eine hatte blondes Haar, und war hochschwanger, die andere konnte ich aus diesem Winkel nicht richtig erkennen. Nur ihr schwarzes Haar. Um sie herum liefen mehrere Wölfe, ihr Begleitschutz, der jeden verbiss, der den drei Frauen zu nahe kam. Allen voran ein Riesenexemplar mit braunem Fell. Man, der war ja sogar noch größer als Sydney. Ich hätte nicht gedacht, dass das möglich wäre.
„Das ist Cerberus“, erklärte Cio, und tippe auf das Riesenvieh von einem Wolf. „Und die Blondine hier ist seine Gefährtin.“ Fingerzeig auf die Schwangere.
„Und wer ist die Schwarzhaarige?“
Er zuckte die Schultern. „Keine Ahnung, kenn ich nicht.“
Wir verfolgten weiter, wie die Gräfin mit ihrem Begleitschutz das Portal anpeilte, und sich mit ihnen auf der Freitreppe positionierte, um alles überblicken zu können. Jeder Wolf oder Mensch der sich ihnen dabei nährte, wurde sofort weggebissen, wenn nötig auch blutig.
„Angst!“,
rief sie mit lauter Stimme, sodass sie auch bis in die hintersten Winkel zu hören war.
„Das ist es was ihr im Moment verspürt. Enttäuschung, Demütigung, Verrat. Über Jahre hinweg hat man jeden einzelnen von euch getäuscht, aber das ist nun dank mir vorbei!“
Die Kamera schwenkte in den Vorhof. Die Auseinandersetzungen hatten nicht aufgehört, aber es gab doch einige, die den Worten der Gräfin lauschten.
„Das Geheimnis der Königin wurde euch allen offenbart, und nun ist es an der Zeit, dass die Führung von jemanden mit einem starken Willen übernommen wird, der nicht unter der kleinsten Last ein Nervenzusammenbruch bekommt!“
„Und wer soll das sein?“,
rief da eine männliche Stimme.
„Ihr etwa?“
„Nein. Obwohl ich als reinblütiger Werwolf mit meiner Abstammung wohl fähig dazu wäre, spreche ich nicht von mir.“
Sie ließ ihren Blick wohl auf den Punkt schweifen, von dem die Stimme kam.
„Ich bin kein Mischling, ich bin dazu geschaffen zu führen, aber nicht ich bin es, die um diesen Posten mit euch wetteifern wird. Es gibt nur einen, der dafür geboren ist euch zu führen. Er wird jede Herausforderung annehmen, und er wird sie alle bestehen. Mein Sohn …“
Das Bild zoomte wieder etwas näher heran, fokussierte den großen Wolf, der langsam mit gebleckten Zähnen über die Freitreppe schlich. Vorbei an seiner schwangeren Gefährtin, vorbei an der Schwarzhaarigen, auf der der
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