Vergangene Schatten
ein und erwiderte ihren Blick. Sie stellte fest, dass man die kleinen Launen des Lebens nicht allzu gut ertragen konnte, wenn einem ständig die Angst im Nacken saß und man darüber hinaus zutiefst erschöpft und am Rande der Verzweiflung war.
»Meine Damen«, mischte sich Matt in amüsiertem Ton ein. »Könnt ihr das vielleicht später unter euch ausmachen? Das ist jetzt, glaube ich, nicht der richtige Moment für euer Weibergezänk.«
Sein amüsierter Ton war ein schwerer Fehler. Noch gravierender aber war das Wort »Weibergezänk«. Carlys aufgestaute Emotionen fanden ein viel lohnenderes Ziel als Sandra; sie verwandelten sich in blanken Zorn und konzentrierten sich nun ganz auf Matt.
»Unser guter alter Matt hat sich kein bisschen verändert«, sagte sie mit einem aufgesetzten Lächeln. »Immer noch dasselbe sexistische Schwein.«
Sandra trat an ihre Seite; ihre Unstimmigkeiten waren augenblicklich vergessen - schließlich galt es, einem gemeinsamen Feind die Stirn zu bieten. Schulter an Schulter standen sie da und starrten ihn finster an.
»Ja«, fügte Sandra genüsslich hinzu. »Grunz, grunz.«
Carly verdrehte die Augen, als sie diese allzu lächerliche Bemerkung ihrer Freundin hörte. Matt schwieg eine Weile. Carly sah, dass ein Lächeln seine Mundwinkel umspielte, während er die Hand an die Brust legte. »Ladys, das kränkt mich wirklich.«
Carly kochte vor Wut - doch bevor sie etwas sagen konnte, warf Sandra ein: »Ja, ja, auch Schweine haben Gefühle.«
Matt lachte nur. Carly zügelte für den Augenblick ihren eigenen Zorn und überließ Sandra stillschweigend die Initiative in dem kleinen Scharmützel. Sie wartete mit angehaltenem Atem auf eine Steigerung der Konfrontation.
Doch dazu kam es nicht mehr. Stattdessen erfüllte ein durchdringendes Stöhnen die Luft. Carlys Augen weiteten sich. Das Geräusch war absolut gespenstisch und wie aus einer anderen Welt - und es schien von irgendwo unter ihnen zu kommen.
»Was, zum Teufel, war das denn?«, fragte Matt stirnrunzelnd.
»Das reicht jetzt«, sagte Sandra und eilte die Stufen hinunter. »Chicago, ich komme.«
»Es ist doch nur Hugo«, rief Carly ihr nach, nachdem ihr bewusst geworden war, dass sie dieses Geräusch schon einmal gehört hatte. »Er hasst es, nass zu werden. Er muss sich unter der Veranda verkrochen haben. Außerdem kannst du nicht weg; ich habe immer noch die Schlüssel - schon vergessen?«
»Scheiße«, stieß Sandra hervor, drehte sich um und blickte mit finsterer Miene zu Carly auf. Das Mondlicht erhellte ihr feuchtes, glänzendes Gesicht.
»Hugo?«, fragte Matt.
»Meine Katze«, erläuterte Carly.
»Glaubst du vielleicht, das hindert mich daran, von hier zu verschwinden?«, erwiderte Sandra und stemmte kämpferisch die Hände in die Hüften. »Ha! Da hast du dich aber getäuscht. Ich werd mir ein Taxi rufen - na, was sagst du jetzt?«
Carly sah sie triumphierend an. »Es gibt keine Taxis in Benton.«
Sandra stöhnte auf. Erneut drang dieses durchdringende Jammern zu ihnen herauf.
»Gib her«, sagte Carly, riss Matt kurz entschlossen die Taschenlampe aus der Hand und ging die Treppe hinunter. Dann leuchtete sie mit der Lampe unter die Veranda.
Zwei helle Augen leuchteten ihr entgegen. Wie sie sich gedacht hatte, war es Hugo, der da zusammengekauert im hintersten Winkel hockte. Ihm gegenüber stand ein anderes Tier, das ihm den Weg ins Freie versperrte. Carly konnte das knurrende Tier nicht gut sehen, weil ihr ein Stützpfeiler die Sicht verstellte. Doch was immer es war, es schien Hugo große Angst einzuflößen. Erneut stieß er sein angsterfülltes Gejammer hervor.
»Hugo«, sagte Carly und richtete den Strahl der Taschenlampe auf den Kater, der sie flehend ansah. Dann wandte sie sich dem anderen Tier zu, von dem sie nicht hätte sagen können, ob es sich um einen Fuchs, einen Waschbären oder - Gott bewahre - ein Stinktier handelte. »Du da!«, rief sie dem Tier zu. »Los! Hau ab!« Sie nahm eine Hand voll Kieselsteine, die auf dem Boden lagen, und warf sie nach dem Eindringling. »Weg da!«
Das Tier rührte sich nicht von der Stelle. Was nicht weiter überraschend war, weil Carly es mit ihrem Wurf verfehlt hatte. Hugo zuckte zusammen, als ihm die Kieselsteine um die Ohren flogen, und ließ erneut sein durchdringendes Gejammer ertönen.
»Bist du sicher, dass das eine Katze ist?«, fragte Matt trocken. Er und Sandra standen mittlerweile neben ihr. Carly sah zu ihnen auf.
»Da unten ist irgendein Tier, das ihm
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