Vergangene Schatten
Antonio hatte nun einmal einen gravierenden Nachteil, für den er eigentlich gar nichts konnte: Er erinnerte Carly ständig an Matt.
»Also, es ist mir einfach rausgerutscht, als er erzählte, dass er dem Sheriff geholfen hat, einen neuen Briefkasten aufzustellen«, gestand Sandra ein wenig schuldbewusst. »Ich dachte mir, ich sollte es dir vielleicht sagen, weil er es nämlich ... äh ... dem Sheriff erzählt hat.«
»Was?« Carly wollte eigentlich gar nicht weiter darüber reden, doch ihre Neugier war stärker. »Was hat er denn gesagt - Matt, meine ich?«, fragte sie.
Sandra sah sie zögernd an. »Also«, begann sie schließlich, »er hat gesagt: >Dieses Mädchen macht nichts als Ärger - und das, seit ich sie zum ersten Mal gesehen habe.«<
Carly hielt den Atem an.
»Ach, das hat er also gesagt?« Carly blickte erbost zum Büro des Sheriffs hinüber, einem langen niedrigen Backsteingebäude, das auf der anderen Seite des Stadtplatzes direkt neben der Feuerwache stand. Nicht, dass Matt in seinem Büro gewesen wäre -nein, er war hier irgendwo in der Menge. Sie hatte ihn schon einmal kurz gesehen, glaubte aber nicht, dass er sie auch gesehen hatte. Noch nicht jedenfalls. Aber das würde schon noch kommen. Ja, sie brannte geradezu darauf, ihm gegenüberzutreten und ein paar deutliche Worte zu sagen.
Seit jener Nacht in seinem Zimmer hatte sie ihn nicht mehr gesehen, bis sie ihn vorhin kurz in der Menge erblickte. Während Antonio fast ständig in ihrem Haus zu sein schien, ließ sich Matt überhaupt nicht mehr blicken. Er hatte auch nicht angerufen oder durch Antonio oder seine Schwestern, die allesamt vorbeigekommen waren, irgendeine Nachricht übermitteln lassen. Sollte er doch tun, was er wollte.
Aber in Ordnung war es keineswegs.
Eine solche Funkstille mochte seine Art sein, mit einer Sache umzugehen, wie sie zwischen ihnen beiden vorgefallen war; sie jedenfalls würde das Ganze nicht so einfach auf sich beruhen lassen. Seit jener Nacht hatte sich eine solche Wut in ihr aufgestaut, dass sie zu explodieren drohte, wenn sie sich nicht bald Luft machen konnte. Ja, sie hoffte, dass das Feuerwerk heute Abend ihr eine willkommene Gelegenheit bieten würde, um dem Sheriff von Benton so richtig den Marsch zu blasen.
Allein der Gedanke machte sie ganz kribbelig.
Doch als das Feuerwerk endlich begann, war Carly immer noch weit davon entfernt, mit Matt ein ernstes Wörtchen zu reden. Sie sah ihn zwar hier und dort in seiner Khaki-Uniform, mit der Pistole im Holster - doch in ihrer Nähe schien er nie aufzutauchen. Zusammen mit seinen Stellvertretern wanderte er durch die Menge, der praktisch alle Einwohner von Benton und Umgebung anzugehören schienen. Die Leute saßen auf Decken und Gartenstühlen oder standen rund um den großen Platz und starrten ausnahmslos zum Himmel hinauf, wo sich ein leuchtendes Schauspiel in Weiß, Rot und Blau entfaltete.
Zu Sandra und Carly hatten sich Mrs. Nayler und ihre Tochter Martha samt Familie gesellt, außerdem Loren Schuler und Bets Haskeil, eine weitere Freundin aus der Highschool-Zeit, mit ihren Familien. Immer wieder kamen Leute vorbei, die mit Carly plaudern wollten, nachdem sie erfahren hatten, dass sie nach Benton zurückgekehrt war und vorhatte, eine Frühstückspension zu eröffnen. Auch Barry Hindley kam vorbei und bekundete sein Interesse an ihr. Carly bedauerte es einmal mehr, dass ihr Zorn auf Matt es einfach nicht zuließ, dass sie sich für einen anderen Mann interessierte. Hai Reynolds, ein weiterer Bekannter von der Highschool, versuchte ebenfalls, die Bekanntschaft aufzufrischen, doch auch für ihn vermochte Carly sich nicht wirklich zu erwärmen. Sandra wurde, wie erwartet, von Antonio besucht, der, obwohl er im Dienst war, Zeit fand, um mit ihr zu plaudern. Sandra strahlte noch, als er längst wieder weg war.
Das Gute war, dass wenigstens eine von ihnen beiden gute Aussichten hatte, Ersatz für den Vibrator zu finden. Weniger gut war, dass es für die andere in dieser Hinsicht düster aussah.
Nachdem Antonio gegangen war, tauchten in regelmäßigen Abständen auch die anderen Sheriff-Stellvertreter auf. Einzeln oder zu zweit kamen sie daher - scheinbar nur, um guten Tag zu sagen. In Wirklichkeit - daran zweifelte Carly keinen Augenblick - wurden sie von den Delikatessen angelockt, die Sandra in einer großen Kühlbox mitgebracht hatte. Vermutlich hatte Antonio seinen Kollegen verraten, wo man einen guten Happen bekommen konnte. Dies bewog Carly zu der
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