Vergangene Schatten
hatte er keine Ahnung, wie sehr er sie damit beleidigte.
In diesem Augenblick schwang sich das Feuerwerk zu einem prachtvollen Höhepunkt empor. Es war ein so atemberaubendes Spektakel, dass Carly sogar einen Moment lang von ihren Gedanken an Matts Ermordung abgelenkt wurde. Während die Marschkapelle »America the Beautiful« intonierte, wurde der Abendhimmel von einer prachtvollen amerikanischen Flagge erleuchtet. Als sie sich unter dem Jubel der Menge auflöste, war der Geruch vom Rauch des Feuerwerks fast genauso stark wie der allgegenwärtige Bierdunst.
Damit ging das Fest zu Ende. Die Leute packten ihre Sachen, und Carly sah ein, dass jede Hoffnung, Matt möge doch noch bei ihr auftauchen, vergeblich war. Hatte er nicht behauptet, wie wichtig es ihm wäre, dass sie Freunde blieben? Nun, für einen Freund benahm er sich, gelinde gesagt, schon ein wenig seltsam. Sie hatte nichts gegen eine lyeundschaft einzuwenden - sie hatte es nur nicht so gern, wenn man sie ignorierte.
»Oh, seht euch mal das an«, sagte Mrs. Naylor, auf den Arm ihrer Tochter gestützt, und reckte den Hals nach oben, um besser sehen zu können. Carly wusste nicht genau, ob es daher kam, dass sie selbst heute erwachsen war, oder daher, dass Mrs. Naylor eine alte Frau war - jedenfalls erschien ihr ihre Nachbarin heute bei weitem nicht mehr so Ehrfurcht gebietend wie damals, als Carly ein Mädchen war. Doch sie war immer noch dick und grauhaarig und so neugierig wie eh und je.
»Wer ist das?«, fragte Martha. Sie war zwar ebenfalls füllig, hatte aber ein recht ansprechendes Gesicht, kurz geschnittenes braunes Haar und ein herzhaftes Lachen.
Carly sah nichts außer einer Wand von Leuten vor sich, obwohl sie in die gleiche Richtung blickte wie die anderen, was ihr bei ihrer Größe nicht selten passierte.
»Der Sheriff nimmt jemanden fest«, teilte Sandra ihr mit. Und mit einem schelmischen Funkeln in den Augen fügte sie hinzu: »Er sieht wirklich toll aus. Also, Männer in Uniform können schon verdammt flott aussehen.«
Carly warf Sandra einen säuerlichen Blick zu, ging ansonsten aber nicht weiter auf die Bemerkung ihrer Freundin ein. Es interessierte sie jedoch, was da tatsächlich vor sich ging. Sie blickte sich kurz um und fand schließlich die Lösung. Sie sprang auf die Kühlbox, von wo sie alles überblicken konnte.
Matt stand mitten auf der Straße. Nachdem sie bereits zuvor zur Kenntnis genommen hatte, dass er in seiner Uniform toll ausschaute, sah Carly keine Notwendigkeit, sich die Tatsache noch einmal einzugestehen. Stattdessen konzentrierte sie sich auf das Geschehen. Matt hielt einen schmächtigen kleinen Mann am Arm fest, dessen Hände mit Handschellen hinter dem Rücken gefesselt waren. Gleichzeitig sah er mit einem warnenden Kopfschütteln eine Frau an, die den Mann wütend anschrie. Carly war nicht nahe genug, um zu hören, was gesprochen wurde, doch an Matts Körperhaltung konnte sie erkennen, dass die Festnahme keine allzu ernste Sache war. Der Mann hatte wohl nichts allzu Schlimmes angestellt.
»Oh, das ist nur Anson Jarboe«, sagte Mrs. Naylor, die jetzt, da sie den Mann erkannt hatte, das Interesse an der Angelegenheit verlor. »Wahrscheinlich ist er wieder mal betrunken. Ida hat Recht, dass sie ihm ordentlich den Marsch bläst.«
Nachdem nichts mehr zu passieren schien, was noch der Aufmerksamkeit wert wäre, drehten sich alle wieder um und machten mit dem Zusammenpacken ihrer Sachen weiter. Bis auf Carly, die Matt wie gebannt anstarrte und deshalb gar nicht bemerkte, dass die anderen sich abwandten. Sie stand nicht lange so da, denn Matt brauchte nur wenige Minuten, um den Unruhestifter über die Straße und in das Sheriff-Büro zu fuhren, wo sich die Tür hinter den beiden schloss, so dass es nichts mehr anzustarren gab außer den Backsteinwänden des Gebäudes.
Carly blinzelte, blickte sich um und trat von ihrer Aussichtswarte herunter. Sie war froh, dass offenbar niemand bemerkt hatte, dass sie länger zugesehen hatte als die anderen. Um nicht weiter aufzufallen, suchte sie sich irgendetwas zu tun und schnappte sich die Decke, auf der sie gesessen hatten. Sie schüttelte sie aus und faltete sie zusammen, als sich Sandra ihr zuwandte.
»Weißt du«, sagte sie so leise, dass nur Carly es hören konnte, »dieser flotte Sheriff wäre mir jederzeit lieber als ein Vibrator. Selbst dann, wenn er gesagt hätte, dass ich nur Ärger mache.«
Sandra hatte offenbar bemerkt, dass sie den Vorfall - genau gesagt, Matt
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