Vergangene Schatten
nicht, was ich getan hätte. Ich bin wirklich heilfroh, dass du mich eingebuchtet hast.«
»Das Gefängnis ist kein Hotel«, erwiderte Matt und setzte sich an den Schreibtisch, um sich seine Post genauer anzusehen. Jeder hier in Benton wusste, dass Anson und Ida Jarboe in den über vierzig Jahren, die sie verheiratet waren, fast ständig gestritten hatten. Es ging dabei vor allem um seine Trinkgewohnheiten, doch im Grunde konnten sie über so gut wie alles in Streit geraten. Als der weniger Temperamentvolle der beiden zog Anson zumeist den Kürzeren. Oft ging er, nachdem er getrunken hatte, nicht einmal mehr nach Hause, sondern direkt zum Sheriff, um sich in eine Zelle stecken zu lassen. Auf diese Weise ersparte er es sich, seiner Frau gegenüberzutreten, bis er seinen Rausch ausgeschlafen hatte.
»Wäre aber ein gutes Hotel hier«, erwiderte Anson lachend, zog die Decke hoch und drehte sich auf die Seite. »Weck mich bitte, wenn es Frühstück gibt.«
Matt brummte irgendetwas Unverständliches. Wenn man ein Paar für eine Werbekampagne gegen die Ehe hätte auswählen müssen, so wären Anson und Ida Jarboe bestens geeignet gewesen.
Die Tür ging auf. Matt blickte auf.
Carlys Freundin Sandra trat rückwärts gehend durch die Tür. Matt runzelte die Stirn. Er hatte in letzter Zeit einiges über Sandra gehört - Antonio schwärmte in den höchsten Tönen von den Kochkünsten dieser Lady -, doch er hätte bestimmt nicht erwartet, sie hier im Sheriff-Büro auftauchen zu sehen, schon gar nicht zu so später Stunde. Dann sah er, dass sie eine große Kühlbox trug - jedoch nicht allein, sondern - wie konnte es anders sein - zusammen mit Carly, die mit gesenktem Kopf hinter Sandra hereinkam.
Er musste lächeln, als er sie hereinkommen sah.
Im nächsten Augenblick hob sie den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Er verspürte eine überwältigende Vertrautheit, als er diese blauen Augen sah, in die er schon so oft in seinem Leben geblickt hatte. Sie waren ein unverzichtbarer Teil seiner Kindheit und Jugend. Einen Herzschlag lang genoss er die Wärme und den Trost, den diese Augen ihm spendeten, so dass er ganz vergaß, dass es einen Grund hatte, warum er ihr die vergangenen vier Tage aus dem Weg gegangen war. Der Grund dafür war, dass er beim Duschen nicht einmal mehr seine gewohnte Seife verwenden konnte, ohne dass ihn erotische Phantasien heimsuchten, in denen er sie wieder in seinen Armen spürte - und das nur, weil sie in jener Nacht nach seiner Seife geduftet hatte. Indem er sich von ihr fern hielt, hoffte er zu vergessen, dass er um ein Haar etwas getan hätte, das er mit Sicherheit bereut hätte - ganz einfach, weil ihm diese Frau zu viel bedeutete, als dass er ihr leichtfertig wehtun wollte.
Plötzlich fiel ihm all das wieder ein, und Matt spürte instinktiv, dass Gefahr drohte.
Carly sah ihn mit einem zuckersüßen Lächeln an. »Du hast doch nichts dagegen, wenn Sandra deine Toilette benutzt, nicht wahr?«, fragte sie.
Die Sache war sogar ziemlich brenzlig. Er kannte Carly genau. Je süßlicher sie lächelte, umso wütender war sie.
Scheiße. Das war das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte.
»Bitte, gern. Die Toilette ist da lang«, sagte er zu Sandra und zeigte auf den Gang zu seiner Rechten.
»Danke«, sagte Sandra. Sie war wirklich ziemlich fullig gebaut, dachte Matt, vielleicht sogar noch fülliger, als sie aussah, weil sie in Schwarz gekleidet war und diese Farbe ja schlank machte, wie ihm seine Schwestern erklärt hatten. Dennoch war sie eine durchaus attraktive Frau. Er konnte verstehen, was Antonio an ihr fand - und zwar ganz abgesehen von ihren Kochkünsten, die für Antonio im Moment an erster Stelle zu stehen schienen. Sie und Carly stellten die Kühlbox bei der Tür nieder, ehe Sandra zur Toilette ging. Carly kam indessen direkt auf ihn zu.
Sein erster Impuls war, sich zu erheben. Schließlich war sie eine Frau, und seine Manieren waren nach all den Jahren, die er mit so vielen Frauen unter einem Dach verbracht hatte, recht annehmbar, was solche Dinge betraf. Doch sie war andererseits auch Carly, seine gute Freundin, und dabei wollte er es bewenden lassen. Wenn er anfing aufzustehen, wenn sie das Zimmer betrat, dann reihte er sie in eine ganz andere Kategorie ein - und er hatte bereits festgestellt, dass das unangenehme und ziemlich verwirrende Folgen haben konnte. Also stand er nicht auf, sondern lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, die Beine ausgestreckt und die Hände vor dem Bauch
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