Vergangene Zukunft
ermöglichen konnte.)
Durch die offene Tür des Eßzimmers sah man in Nitelys Arbeitsraum. Sowohl gelehrsame als auch freudenspendende Bücher reihten sich an den Wänden.
Nitely griff sich an die Stirn (mit der linken Hand).
»Mein liebes Kind«, sagte er zu Alice, »es ist wirklich erstaunlich – wenn du deinen Griff bitte etwas lockern könntest, damit der Blutkreislauf wieder einsetzen kann … Es ist wirklich erstaunlich, daß ich immer daran denken muß, dies alles sei schon einmal geschehen.«
»Sicher ist das noch nie geschehen, mein lieber Nicholas«, sagte Alice und lehnte ihren entzückenden Kopf an seine Schulter. Sie lächelte ihn mit einer sanften Schüchternheit an, die ihre Schönheit noch betörender machte – so betörend wie Mondlicht, das sich in unbewegtem Wasser spiegelt.
»Kann es schon jemals einen so weisen Magier gegeben haben wie Professor Johns, einen so überaus modernen Zauberer?«
»Einen so modernen …« Nitely fuhr so heftig auf, daß die Füße der zarten Alice einen Zoll über dem Boden schwebten. »Dickens soll mich holen, wenn das nicht stimmt«
»Nicholas, was ist? Du erschreckst mich, mein Engel!«
Er lief in sein Arbeitszimmer, und Alice mußte ihm wohl oder übel folgen. Sein Gesicht war blaß, seine Lippen fest aufeinandergepreßt, als er einen Band von den Regalen nahm. Vorsichtig blies er den Staub ab.
»Ach«, sagte er zerknirscht, »wie habe ich doch die unschuldigen Freuden meiner Jugend vernachlässigt! Mein Kind, da ich den rechten Arm noch immer nicht gebrauchen kann, würdest du bitte in diesem Buch blättern, bis ich ›halt‹ sage?«
Sie boten ein Bild vorehelicher Glückseligkeit, wie man es wohl selten findet. Seine linke Hand hielt das Buch fest, ihre rechte wendete langsam die Seiten.
»Ich habe recht!« sagte Nitely mit plötzlicher Erregung. »Kommen Sie, mein lieber Professor Johns! Eine höchst überraschende Übereinstimmung – ein erschreckendes Beispiel für jene geheimnisvollen Mächte, die manchmal aus irgendwelchen verborgenen Gründen mit uns ihr Spiel treiben.«
Professor Johns hatte sich selbst einen Tee bereitet und nippte nun geduldig an der Tasse. Er benahm sich ganz so, wie sich ein diskreter Gentleman von intellektuellem Wesen in Gegenwart zweier glühend Liebender benimmt. Er hatte sich nämlich in ein Nebenzimmer zurückgezogen.
»Sind Sie sicher, daß Sie meine Anwesenheit auch wirklich wünschen?« rief er.
»Allerdings. Sir. Ich würde gern Ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Rate ziehen.«
»Aber Sie befinden sich doch in einer Lage …«
»Professor!« rief Alice mit schwacher Stimme.
»Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, mein liebes Kind«, sagte der Professor und trat ein. »Mein alter, versponnener Geist ist voller lächerlicher Vorurteile. Es ist lange her, seit ich …« Er trank einen großen Schluck Tee (den er sehr stark zubereitet hatte) und gewann sofort seine Selbstbeherrschung wieder.
»Professor«, sagte Nitely, »das liebe Kind nannte Sie einen modernen Zauberer, und das brachte mich sofort auf Gilberts und Sullivans ›Zauberer‹.«
»Wer sind Gilbert und Sullivan?« fragte der Professor mild.
Nitely warf einen inbrünstigen Blick zum Himmel, als wolle er darum flehen, daß das unvermeidliche Donnerwetter nicht gerade sein Haus treffen möge. Mit heiserer Stimme flüsterte er: »Sir William Schwenck Gilbert und Sir Arthur Sullivan haben den Text und die Musik der großartigsten musikalischen Komödien geschrieben, die die Welt je gesehen hat. Eine dieser Operetten nennt sich ›Der Zauberer‹. Auch in ihr kommt ein Liebestrank vor. Ein sehr moralischer Liebestrank, der zwar verheirateten Leuten nichts anhaben kann, aber doch die junge Heldin von ihrem hübschen jungen Liebhaber trennt und sie in die Arme eines älteren Mannes treibt.«
»Und ist es dabei geblieben?« fragte Professor Johns.
»Nein … Wirklich, mein Liebes, die Bewegungen deiner Finger in meinem Nacken wecken unleugbar angenehme Gefühle, aber sie lenken mich doch sehr ab – Die jungen Liebenden werden wieder vereint, Professor.«
»Aha«, sagte Professor Johns. »Angesichts der nahen Verwandtschaft von erfundener Handlung und wirklichem Leben könnte uns der Schluß dieser Operette vielleicht den Weg weisen, wie wir Alice und Alexander wieder vereinen. Ich nehme an, daß Sie nicht mit einem ständig gebrauchsunfähigen Arm durchs Leben gehen wollen.«
»Ich will nicht wieder mit Alexander vereint werden«, sagte
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