Vergeben, nicht vergessen
Sie ließ den Kopf fallen. »Das jedenfalls hat Mama Ramsey gegenüber bemerkt. Sie haben sehr leise miteinander gesprochen. Ich bin ganz nahe an sie herangeschlichen, damit ich sie hören konnte.«
»Also gut, dann erzählst du mir morgen, wie alles sein wird, okay? Hast du denn noch Alpträume, Emma?«
Emma schüttelte den Kopf, sprang vom Stuhl und hielt das Klavier eng an sich gepresst. »Aber ich denke an ihn, Dr. Loo.«
»Und was denkst du, Emma?«
»Dass er wieder kommen wird. Wenn wir nach San Francisco zurückkehren, wird die Polizei machen, dass er uns nicht nahe kommt. Ich habe gehört, wie Ramsey gestern mit Polizistin Virginia telefoniert hat. Ramsey hat mir gesagt, dass er Sonny Dickerson heißt. Er hat mir ein Foto von ihm gezeigt. Das ist er gewesen. Ich habe ihn wirklich gut beschrieben.«
Dr. Loo hatte das Foto ebenfalls gesehen. »Stimmt, das hast du wirklich gut gemacht. Sag mal, Emma, glaubst du ganz tief in deinem Herzen und etwas weiter höher in deinem
Kopf, dass dich deine Mama und Ramsey vor ihm schützen können?«
Emma dachte darüber nach und starrte lange auf ihre Nike-Turnschuhe. Sie trug ihre Lieblingssocken, die Ramsey ihr in Irland gekauft hatte.
Dr. Loo streichelte kurz über ihren Arm. Das Kind war zu dünn, aber das war zur Zeit nicht so wichtig. Dennoch bereitete es ihren Eltern sicherlich Sorge. Schließlich meinte Emma: »Mein Herz ist sich ganz sicher, aber mein Kopf ist es nicht.«
Dr. Loo nickte. »Das ist klug. Bis dieser Sonny Dickerson festgenommen ist, Emma, ist es ganz wichtig, dass sowohl du als auch Ramsey und deine Mama sehr gut aufpassen. Da ihr nach eurer Rückkehr Polizeischutz haben werdet, wirst du dich sicherer fühlen können.«
»Ich habe Ramsey gebeten, mir noch mehr Lesen beizubringen. Vielleicht lese ich über den Mann in einem Buch.«
»Das ist eine ausgezeichnete Idee.«
»Mama meint, ich sei so schlau, dass ich noch vor meiner Einschulung im Herbst über Schuld und Sühne lesen könnte.«
Molly blickte auf ihren Vater, der etwas erhöht in seinem Klinikbett lag, die Zeitung auf den Knien, seine Lesebrille auf der Nase. Er war unzufrieden, doch sie würde nicht nachgeben. Sie wollte Emma hier herausbekommen, und zwar so schnell wie möglich. In jenem leicht abfälligen Tonfall, den er ihr gegenüber ständig benutzte, sagte er: »Du wirst hier heiraten.«
Sie schüttelte den Kopf. Sie würde sich nicht auf eine Diskussion mit ihm einlassen. Leise entgegnete sie: »Du hast mich schon einmal heiraten sehen. Du musst es nicht ein zweites Mal tun.«
»Wir möchten Emma hier herausholen und in Sicherheit bringen«, fügte Ramsey hinzu.
»Ist sie denn in San Francisco so sicher?«, erkundigte sich
Mason mit beißendem Sarkasmus. »Der Mistkerl hat sie dir direkt unter der Nase weggeschnappt, Ramsey.«
»Ramseys Eltern sind auch noch zu bedenken, Mason. Ihnen gegenüber wäre es nicht fair«, mischte sich Eve ein.
Er bedachte sie noch nicht einmal mit einem Blick. »Halt du dich da heraus, Eve. Das geht dich nichts an.«
Sie lächelte lediglich auf ihn herab und schien sich nichts weiter daraus zu machen. »Ich werde etwas Tee bringen lassen. Übrigens, Ramsey, euer Auto kommt um drei, wenn euch das recht ist«, erwiderte Eve. Amüsiert lächelnd blickte sie auf ihre Cartier-Uhr.
Fünf Minuten nach drei reisten sie ab, wobei der Abschied zwischen Molly und ihrem Vater knapp ausfiel. Die Presse wusste von ihren Plänen, vermutlich durch einen Informanten bei der Limousinenfirma. Molly und Ramsey beobachteten, wie die Presse einen Wagen mit abgedunkelten Fenstern in Richtung Innenstadt verfolgte. Ramsey lachte. »Lass uns fahren, Günther. Das war eine gute Idee, sehr gut sogar.«
Ich bin verheiratet, dachte Molly und starrte ihr blasses Gesicht im Spiegel an. Wieder verheiratet. Nur dass ich diesmal erwachsen und kein dummes, unreifes Kind mehr bin. Diesmal habe ich einen guten Mann geheiratet, der so sexy ist, dass es kaum zum Aushalten ist. Und Emma liebt er abgöttisch.
Sie feixte, legte ein wenig Lippenstift auf und streifte sich das kostbare pfirsichfarbene Seidennachthemd über. Nur zehn Minuten war es her, dass Ramsey es ihr direkt unter Emmas Augen überreicht hatte. Sie hatte also gar keine andere Wahl. »Keines dieser Baumwollzelte mehr«, hatte er ihr ins Ohr geflüstert. »Das hier ist für uns beide. Und heute Nacht ist es vermutlich auch noch für Emma.« Er hatte den Eindruck gemacht, als ob er gleich in Tränen hätte
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