Vergeben, nicht vergessen
vor ... wie heißt noch der Ort in dieser Richtung?«
»Paulson, jedenfalls dem Schild zufolge, an dem wir gerade vorbeigefahren sind.«
»Es sind etwa drei Meilen bis nach Paulson. Lassen Sie uns bis fast dorthin fahren, dann nehmen wir eine Nebenstraße. Dort warten wir etwas. Ich wette, dass alle Durst haben. Wir werden eine Flasche Wasser kaufen müssen.«
»Ich muss auf die Toilette«, sagte Emma.
»Ich auch«, erwiderte Ramsey und umarmte sie. »Noch drei Minuten, Em.«
Das Funktelefon klingelte leise.
»Savich?«
»Ja. Da du keine vollständigen Angaben machen konntest, gibt es drei Möglichkeiten.«
»Also gut. Ich habe was zum Schreiben.« Molly beobachtete, wie er einen Block aus dem Handschuhfach zog und sich Namen und Adressen notierte. Sie hörte ihn sagen: »Danke, Savich. Ich schulde dir einen großen Gefallen.« Eine lange
Pause folgte, dann: »Ich sage dir, so viel ich kann, aber jetzt noch nicht. Grüße Sherlock von mir.«
Er schaltete das Telefon aus.
»Die Typen aus dem Restaurant haben wir offenbar abgehängt. Ich fände es immer noch das Beste, die Polizei einzuschalten, Molly.«
»Nein, noch nicht. Bitte, noch nicht.«
Er seufzte tief auf. Was er wirklich vermeiden wollte war, dass sie mit Emma zusammen das Weite suchen würde. Er hatte es im Gefühl, dass sie genau das tun würde, wenn er sich ihren Regeln nicht beugte. Es war nicht allein die Tatsache, dass sie der Polizei nicht traute. Es war da irgendetwas, etwas, in das sie ihn noch nicht eingeweiht hatte. »Also gut«, stimmte er zu. »Fahren wir also nach Aspen und übernachten im Jerome. Ich lade euch in die Cantina zu einer ordentlichen mexikanischen Mahlzeit ein.«
Wenig später fuhr Molly an den Straßenrand. Sie führte Emma hinter den Sichtschutz einiger Büsche. Über das Dickicht der Brombeeren hinweg trafen sich ihre Blicke. Seine Augen waren fast so schwarz wie sein dichtes Haar, das etwas länger war, seit er vor drei Wochen der Zivilisation den Rücken gekehrt hatte. Er hatte ein kräftiges Gesicht, hohe Wangenknochen und einen dunklen Teint, und sie fragte sich, ob er nicht doch italienischer Abstammung sein könnte. Außerdem war die Andeutung eines Dreitagebarts zu sehen. Während sie ihn nun zum ersten Mal richtig betrachtete, wurde ihr bewusst, wie gut er aussah. Nicht ausnehmend gut wie ein Filmstar, aber doch gut in dem Sinne, dass er ruhig und kräftig war, die Art von gutem Aussehen, der man Vertrauen entgegenbrachte. Sie schuldete ihm die ganze Wahrheit, aber jetzt noch nicht.
Als sie Emma beim Anziehen half, dachte sie darüber nach, wie merkwürdig es war, nun nicht mehr ganz allein zu sein. Sie kannte ihn nicht einmal einen Tag. Es erschien ihr länger, aber Tatsache war, dass sie ihn eigentlich gar nicht kannte. Ein gewisser Ruf eilte ihm voraus, doch den Menschen kannte sie nicht. Er hatte Emma gerettet. Dafür würde sie ihm ewig dankbar sein.
Sie lächelte ihn an.
Ramsey überraschte sich selbst, als er ihr Lächeln automatisch erwiderte. Hätte er doch vorhin im Restaurant einen Blick auf den zweiten Mann geworfen. Handelte es sich tatsächlich um zwei vollkommen andere Leute? Vermutlich schon. Sie hatten keinerlei Anzeichen erkennen lassen, dass einer von ihnen verwundet war. Wenn sie tatsächlich neu eingesetzt worden waren, war dies eine größere Sache. Was war es, was Molly ihm verheimlichte?
Als Molly mit Emma zum Wagen zurückkehrte, reichte er ihr das Funktelefon. »Es ist an der Zeit, die Polizei in Denver anzurufen. Sie müssen ihnen mitteilen, dass Emma jetzt in Sicherheit ist. Was auch immer es ist, was Sie ihnen nicht sagen wollen, behalten Sie einfach für sich. So viel aber schulden Sie ihnen.«
Sie zog ein schmales Notizbuch aus ihrer Schultertasche, suchte nach einer Nummer und wählte. Er reichte ihr das Blatt Papier mit drei Namen und Adressen, ging auf die Fahrerseite und beobachtete, wie Emma sich an sie drängte.
Ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten, sagte sie: »Ich habe meine Tochter wieder, Detektiv Mecklin.«
»Sind Sie es, Frau Santera? Was haben Sie gesagt? Geht es Ihnen gut? Sind Sie verletzt?«
»Nein, ich bin nicht verletzt. Ich habe gesagt, dass meine Tochter wieder bei mir ist.« Fast konnte sie sehen, wie er seine blauen Augen zusammenkniff, den Hörer anstarrte und sich fragte, ob sie nun vollkommen durchgedreht sei. Ihr war es gleichgültig. Sie hatte gehofft, nie wieder etwas mit Mecklin zu tun haben zu müssen, doch nun stand sie hier und
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