Vergebung
sich jetzt nicht um ihn kümmern. Sie sollten sich ganz darauf konzentrieren, wieder gesund zu werden.«
Lisbeth schloss die Augen. Sie überlegte kurz, ob sie es wohl schaffen könnte, aus dem Bett zu steigen, eine brauchbare Waffe aufzutreiben und das begonnene Werk zu Ende zu bringen. Doch dann schob sie diesen Gedanken wieder beiseite. Sie konnte ja kaum die Augen offen halten. Mit anderen Worten: Ihr Vorhaben, Zalatschenko zu töten, war misslungen. Er wird wieder davonkommen.
»Ich würde Sie gern kurz untersuchen. Dann können Sie weiterschlafen«, sagte Dr. Endrin.
Mikael Blomkvist wachte aus unerfindlichen Gründen plötzlich auf. Ein paar Sekunden lang wusste er nicht, wo er war, bevor ihm wieder einfiel, dass er sich ein Zimmer im City Hotel genommen hatte. Es war pechschwarz im Zimmer. Er knipste die Nachttischlampe an und sah auf die Uhr. Halb drei Uhr morgens. Er hatte also fünfzehn Stunden am Stück geschlafen.
Er stand auf, ging auf die Toilette und urinierte. Dann überlegte er eine Weile. Da er wusste, dass er nicht mehr würde einschlafen können, stellte er sich gleich unter die Dusche. Danach zog er eine Jeans und ein weinrotes Sweatshirt an, dem ein Waschgang durchaus nicht geschadet hätte. Er hatte einen Bärenhunger, also rief er die Rezeption an und erkundigte sich, ob er zu dieser frühen Stunde wohl Kaffee und ein belegtes Brötchen haben könnte. Er konnte.
Also zog er sich eine Jacke über, ging an die Rezeption und holte sich dort seinen Kaffee und ein in Folie verpacktes Roggenbrötchen mit Käse und Leberwurst. Während er aß, fuhr er sein iBook hoch und steckte das Kabel in die Breitbandsteckdose. Dann sah er sich die Online-Ausgabe des Aftonbladet an. Wie zu erwarten, war die Festnahme von Lisbeth Salander der Aufmacher. Die Berichterstattung war nach wie vor von Verwirrung geprägt, doch im Großen und Ganzen auf der richtigen Spur. Der 37-jährige Ronald Niedermann wurde wegen des Polizistenmordes gesucht; außerdem wollte ihn die Polizei in Zusammenhang mit den Morden in Stockholm vernehmen. Zu Lisbeth Salanders Zustand hatte sich die Polizei noch nicht geäußert, und Zalatschenko wurde namentlich überhaupt nicht erwähnt. Er tauchte in den Berichten nur als 66-jähriger Grundbesitzer auf, wohnhaft in Gosseberga. Ganz offensichtlich gingen die Medien noch davon aus, dass er ein Opfer war.
Als Mikael fertig gelesen hatte, klappte er sein Handy auf und stellte fest, dass er zwanzig ungelesene Nachrichten hatte. Drei von ihnen waren Aufforderungen, Erika Berger anzurufen. Zwei waren von Annika Giannini. Vierzehn Mitteilungen stammten von Reportern diverser Zeitungen. Eine von Christer Malm, der ihm die prägnante SMS geschickt hatte: Es wäre klug, wenn du dich in den erstbesten Zug nach Hause setzen würdest.
Mikael runzelte die Stirn. Für einen Christer Malm war das eine seltsame Nachricht. Die SMS war am Vorabend um sieben Uhr geschickt worden. Er unterdrückte seinen Impuls, sofort anzurufen und ihn um drei Uhr morgens aus dem Bett zu holen. Stattdessen sah er sich im Internet die Zugfahrpläne an und entdeckte, dass der erste Zug nach Stockholm um 5 Uhr 20 abfuhr.
Er öffnete ein neues Word-Dokument. Danach zündete er sich erst mal eine Zigarette an und starrte auf den leeren Bildschirm. Schließlich hob er die Finger und begann zu tippen.
Ihr Name ist Lisbeth Salander. Die Schweden haben sie durch die Pressekonferenzen der Polizei und die Überschriften der Abendzeitungen kennengelernt. Sie ist 27 Jahre alt und 1 Meter 50 groß. Sie ist als Psychopathin, Mörderin und lesbische Satanistin dargestellt worden. Bei den absurden Geschichten, die bis jetzt über sie in Umlauf gebracht wurden, schienen der Fantasie fast keine Grenzen gesetzt zu sein. In diesem Heft erzählt Millennium die Geschichte, wie Beamte sich gegen Lisbeth Salander verschworen, um einen pathologischen Mörder zu schützen.
Er schrieb langsam und änderte nur wenig an seinem ersten Entwurf. Nach fünfzig Minuten konzentrierter Arbeit hatte er knapp zwei Seiten fertiggestellt, auf denen er die Nacht rekapitulierte, in der er Dag Svensson und Mia Bergman gefunden hatte, und nachvollzog, warum die Polizei sich auf Lisbeth Salander als Mordverdächtige eingeschossen hatte. Er zitierte die Überschriften der Abendzeitungen, die von lesbischen Satanistinnen sprachen und die Hoffnung nährten, dass zum Dunstkreis dieser Morde auch pikanter BDSM-Sex gehörte.
Schließlich warf er einen Blick auf
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