Vergebung
Ausland in Sicherheit und Lisbeth Salander in einem Erdloch vergraben. Es war ihm ein völliges Rätsel, wie sie es geschafft hatte, sich aus ihrem Grab zu befreien, sich zu seinem Hof zu schleppen und sein Leben mit zwei Axthieben zu zerstören. Sie war so wahnsinnig zäh.
Hingegen wusste er nur zu gut, was mit Ronald Niedermann passiert und warum er um sein Leben gerannt war, statt kurzen Prozess mit Salander zu machen. Zalatschenko wusste, dass da in Niedermanns Kopf etwas nicht ganz richtig war - dass er Gespenster sah. Mehr als einmal hatte er schon eingreifen müssen, wenn Niedermann jeden gesunden Menschenverstand verlor und sich vor Schreck zusammenrollte wie ein Embryo.
Das machte Zalatschenko Sorgen. Er war überzeugt davon, dass Niedermann am Tag nach seiner Flucht aus Gosseberga wieder einwandfrei funktioniert hatte, denn er war ja immer noch nicht gefasst worden. Wahrscheinlich würde er versuchen, sich nach Tallinn durchzuschlagen, wo er bei Zalatschenkos kriminellem Imperium Unterschlupf finden konnte. Jedoch ließ sich nie vorhersehen, wann Niedermann vor Furcht wieder wie gelähmt sein würde, und das war natürlich sehr beunruhigend. Wenn ihm das auf der Flucht passierte, würde er Fehler machen, und wenn er Fehler machte, würde er ins Gefängnis wandern. Doch würde er sich niemals freiwillig ergeben, was bedeutete, dass Polizisten sterben mussten und Niedermann höchstwahrscheinlich auch.
Dieser Gedanke betrübte Zalatschenko. Er wollte nicht, dass Niedermann starb. Niedermann war sein Sohn. Andererseits war es eine bedauerliche Tatsache, dass er nicht lebendig erwischt werden durfte. Niedermann war noch nie in Untersuchungshaft gewesen, und Zalatschenko konnte nicht absehen, wie er bei einer Vernehmung reagieren würde. Er hatte allerdings den Verdacht, dass Niedermann in diesem Fall leider nicht den Mund halten würde. Daher wäre es eher von Vorteil, wenn er von der Polizei getötet würde. Freilich würde Zalatschenko um seinen Sohn trauern, aber die Alternative sah noch schlimmer aus. Denn dann würde Zalatschenko selbst den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen.
Aber mittlerweile waren achtundvierzig Stunden vergangen, seit Niedermann geflohen war, und er war immer noch nicht gefasst worden. Das war gut. Das war ein Zeichen, dass Niedermann funktionierte, und ein funktionierender Niedermann war unschlagbar.
Auf lange Sicht gab es jedoch noch eine andere Sorge. Er fragte sich, wie Niedermann allein klarkommen würde, wenn sein Vater nicht mehr da war, um ihn im Leben anzuleiten. Im Laufe der Jahre hatte Zalatschenko beobachten können, dass Niedermann in eine völlig teilnahmslose, passive Haltung abglitt und jede Entschlossenheit verlor, sobald man ihm keine Anweisungen mehr gab oder ihn an der langen Leine ließ.
Zum soundsovielten Mal stellte Zalatschenko fest, dass es schade war und eine echte Schande, dass sein Sohn diese Eigenschaften hatte. Ronald Niedermann war zweifellos ein sehr talentierter Mensch, dessen körperliche Eigenschaften ihn obendrein zu einem erschreckenden und gefürchteten Menschen machten. Außerdem konnte er hervorragend organisieren. Sein Problem war einfach die fehlende Selbstständigkeit. Ständig brauchte er jemanden, der ihm sagte, was er tun sollte.
Aber all das entzog sich momentan Zalatschenkos Einfluss. Jetzt ging es um ihn selbst. Seine Situation war prekär, vielleicht prekärer als je zuvor.
Den Besuch seines Anwalts Thomasson hatte er nicht als besonders beruhigend empfunden. Thomasson war und blieb ein Firmenjurist, und so effektiv er auf seinem Gebiet auch sein mochte, so war er ihm in dieser Lage nicht gerade die größte Stütze.
Das andere war Jonas Sandbergs Besuch. Sandberg konnte ihm eine wesentlich stärkere Rettungsleine zuwerfen. Aber diese Rettungsleine konnte sich jederzeit als Schlinge entpuppen. Kontrolle war alles.
Und schließlich konnte er auch noch auf seine eigenen Kräfte vertrauen. Im Moment brauchte er noch medizinische Behandlung. Doch in ein paar Tagen, vielleicht schon in einer Woche, würde er sich wieder erholt haben. Wenn es hart auf hart ging, konnte er sich wahrscheinlich nur auf sich selbst verlassen. Er würde ein Versteck brauchen, einen Pass und Bargeld. All das konnte Thomasson ihm verschaffen. Aber zuerst musste er sich so weit erholen, dass er fliehen konnte.
Um ein Uhr sah die Nachtschwester nach ihm. Er stellte sich schlafend. Als sie die Tür wieder hinter sich zuzog, setzte er sich mühsam auf
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