Vergebung
seinen wildesten Fantasien nicht ausmalen können.
Am meisten fürchtete er, dass die Situation in der Familie Salander zu einer Untersuchung durch das Sozialamt führen könnte. Immer wieder bat er Zalatschenko eindringlich, mit der Familie zu brechen und zu verschwinden. Der versprach es, hielt sein Versprechen jedoch nie. Er hatte andere Huren. Er hatte jede Menge Huren. Doch nach ein paar Monaten kehrte er immer wieder zu Agneta Sofia Salander zurück.
Dieser verfluchte Zalatschenko. Ein Spion, der sein Gefühlsleben von seinem Schwanz steuern ließ, war ein Sicherheitsrisiko. Aber es war, als stünde er über allen normalen Regeln, oder zumindest glaubte er, über allen Regeln zu stehen. Wenn er die Hure wenigstens nur gefickt hätte, ohne sie auch noch jedes Mal zu verdreschen, hätte man dies noch akzeptieren können, doch misshandelte Zalatschenko seine Freundin wiederholt aufs Schwerste. Er schien seine Bewacher regelrecht provozieren zu wollen: Er verprügelte seine Freundin immer wieder, nur um zu sehen, wie die Sektion sich abstrampelte, um alles wieder ins Lot zu bringen.
Dass Zalatschenko völlig krank im Kopf war, bezweifelte Gullberg keine Sekunde lang, aber er konnte schließlich nicht aus einer Fülle übergelaufener GRU-Agenten auswählen. Er hatte nur einen einzigen, und der war sich obendrein seines Stellenwerts bewusst.
An Warnungen fehlte es nicht. Als Lisbeth Salander gerade zwölf geworden war, hatte sie Zalatschenko mit dem Messer attackiert. Die Verletzungen waren nicht ernst, aber er wurde ins St.-Göran-Krankenhaus gebracht, und die Zalatschenko-Gruppe musste umfassende Aufräumarbeiten leisten. Dieses Mal führte Gullberg eine sehr ernste Unterredung mit Zalatschenko, der versprach, nie wieder Kontakt mit der Familie Salander aufzunehmen. Doch nach einem halben Jahr misshandelte er Agneta Sofia Salander so schwer, dass sie für den Rest ihres Lebens in ein Pflegeheim eingewiesen werden musste.
Dass Lisbeth Salander eine mordlustige Psychopathin war, die sogar in der Lage war, eine Brandbombe zu basteln, hatte Gullberg sich allerdings nie vorstellen können. Jener Tag war ein einziges Chaos gewesen. Die Operation Zalatschenko - ja die ganze Sektion - hing am seidenen Faden. Wenn Salander redete, drohte Zalatschenko aufzufliegen. Wenn Zalatschenko aufflog, wären zum einen zahlreiche Operationen, die man in den letzten fünfzehn Jahren in Europa durchgeführt hatte, akut bedroht, zum andern bestand die Gefahr, dass die Sektion am Ende einer öffentlichen Untersuchung ausgesetzt würde. Was um jeden Preis verhindert werden musste.
Gullberg machte sich Sorgen. Gegen eine öffentliche Untersuchung der Sektion würde die sogenannte IB-Affäre, bei der ein staatlicher Nachrichtendienst seine Grenzen bei der Überwachung politisch verdächtiger Bürger weit überschritten hatte, aussehen wie eine billige Seifenoper. Wenn das Archiv der Sektion geöffnet würde, kämen diverse Umstände ans Licht, die mit der Verfassung nicht ganz in Einklang zu bringen waren. Ganz zu schweigen von ihrer langjährigen Überwachung Olof Palmes und anderer bekannter Sozialdemokraten. Wenige Jahre nach dem Palme-Mord wäre dies eine heikle Angelegenheit gewesen. Am Ende wären Ermittlungen gegen Gullberg und andere Mitglieder der Sektion eingeleitet worden. Schlimmer noch - verrückte Journalisten würden versuchen, ihnen den Palme-Mord in die Schuhe zu schieben, was zu einem weiteren Labyrinth an Enthüllungen und Anklagen führen musste. Am schlimmsten war, dass die Leitung der Sicherheitspolizei sich so stark verändert hatte, dass nicht einmal der oberste Chef der RPF/Sich von der Existenz der Sektion wusste. Den letzten Kontakt mit der RPF/Sich hatte es in jenem Jahr am Tisch des neuen stellvertretenden Amtschefs gegeben, und der war seit zehn Jahren selbst festes Mitglied der Sektion.
Unter den Mitarbeitern der Zalatschenko-Gruppe herrschte die reine Panik. Schließlich war es Gunnar Björck, der mit der Lösung kam, und zwar in Gestalt eines Psychiaters namens Peter Teleborian.
Teleborian war in einer ganz anderen Angelegenheit mit der Abteilung für Gegenspionage in Kontakt gekommen, und zwar als Berater bei der Untersuchung eines verdächtigen Industriespions.
Nach Salanders Angriff auf Zalatschenko hatte Björck angefangen, Teleborian vorsichtig als externen Berater an die Sektion zu binden. Und dieser hatte sich mehr und mehr unentbehrlich gemacht.
Die Lösung des Problems war so einfach.
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