Vergebung
dir stehen.«
»Und wenn ich die falschen Entscheidungen treffe?«
»Wenn ich etwas sehe oder höre, werd ich dich darauf ansprechen. Aber das müsste schon etwas Besonderes sein. Normalerweise gibt es einfach keine Entscheidungen, die hundertprozentig richtig oder falsch sind. Du triffst deine Entscheidungen, die vielleicht nicht mit denen identisch sind, die Erika getroffen hätte. Wenn ich entscheiden müsste, würde vielleicht eine dritte Variante dabei rauskommen. Aber jetzt gelten eben deine Entscheidungen.«
»Okay.«
»Wenn du eine gute Chefin bist, wirst du die Fragen ja auch mit den anderen besprechen. In erster Linie mit Henry und Christer, danach mit mir, und zum Schluss bereden wir die kniffligeren Angelegenheiten in unserer Redaktionsversammlung.«
»Ich werde mein Bestes tun.«
»Gut.«
Er setzte sich mit seinem iBook auf den Knien aufs Wohnzimmersofa und arbeitete ohne Pause den ganzen Montag hindurch. Am Ende hatte er zwei Texte mit insgesamt einundzwanzig Seiten entworfen. Sie beschäftigten sich vor allem mit dem Mord am Millennium -Mitarbeiter Dag Svensson und seiner Freundin Mia Bergman - woran sie arbeiteten, warum sie erschossen wurden und wer der Mörder war. Er schätzte, dass er noch ungefähr vierzig Seiten Text für das Sommerheft produzieren musste. Und er musste entscheiden, wie er Lisbeth Salander in seinem Text charakterisieren konnte, ohne ihre Privatsphäre zu verletzen. Er wusste Dinge von ihr, die sie um nichts in der Welt an die Öffentlichkeit dringen lassen wollte.
Evert Gullberg frühstückte eine einzige Scheibe Brot und eine Tasse schwarzen Kaffee in Freys Cafeteria. Anschließend stieg er in ein Taxi, das ihn zur Artillerigatan in Östermalm brachte. Um 9 Uhr 15 klingelte er, stellte sich an der Sprechanlage vor und wurde sofort eingelassen. Als er im siebten Stock aus dem Fahrstuhl stieg, wurde er von Birger Wadensjöö, 54, in Empfang genommen. Dem neuen Chef der Sektion.
Wadensjöö war einer der jüngsten Rekruten in der Sektion gewesen, als Gullberg damals in Pension ging. Er war nicht sicher, was er von ihm halten sollte.
Er hätte sich gewünscht, dass der tatkräftige Fredrik Clinton noch im Amt wäre. Clinton war Gullbergs Nachfolger gewesen und hatte die Sektion geleitet, bis ihn Diabetes und Kreislaufprobleme im Jahr 2002 mehr oder weniger zwangen, in Pension zu gehen.
»Hallo, Evert«, sagte Wadensjöö und schüttelte seinem ehemaligen Chef die Hand. »Schön, dass du dir die Zeit genommen hast.«
»Zeit ist das Einzige, was ich im Überfluss habe.«
»Du weißt ja, wie das ist. Wir sind schlecht darin, den Kontakt mit unseren altgedienten Mitarbeitern zu halten.«
Evert Gullberg ignorierte diese Bemerkung. Er ging nach links in sein altes Dienstzimmer und setzte sich an einen runden Konferenztisch am Fenster. Wadensjöö hatte Reproduktionen von Chagall und Mondrian aufgehängt - er nahm jedenfalls an, dass Wadensjöö dafür verantwortlich war. Gullberg hatte seinerzeit Pläne von historischen Schiffen wie der Kronan oder der Wasa an der Wand gehabt. Er hatte immer vom Meer geträumt und war ja tatsächlich Marineoffizier, auch wenn er nur wenige Monate seines Militärdienstes auf See verbracht hatte. Computer standen jetzt auch hier. Im Übrigen sah das Zimmer aber noch exakt so aus wie damals, als er aufgehört hatte. Wadensjöö schenkte ihm Kaffee ein.
»Die anderen kommen gleich«, sagte er. »Ich dachte, wir könnten uns erst noch ein bisschen unterhalten.«
»Wie viele aus meiner Zeit sind noch bei der Sektion?«
»Außer mir nur noch Otto Hallberg und Georg Nyström, beide hier im Büro. Hallberg geht dieses Jahr in Pension, und Nyström wird demnächst 60. Ansonsten sind die meisten Mitarbeiter neu angeworben worden. Vielleicht hast du ein paar von ihnen schon mal kennengelernt.«
»Wie viele arbeiten heute für die Sektion?«
»Wir haben alles ein bisschen umorganisiert.«
»Ach ja?«
»Heute haben wir insgesamt sieben Vollzeitmitarbeiter. Auch wir haben kürzen müssen. Aber ansonsten hat die Sektion einunddreißig Mitarbeiter. Die meisten von ihnen kommen nie hierher, sondern gehen innerhalb der Organisation einem normalen Job nach und arbeiten für uns nebenbei.«
»Einunddreißig Mitarbeiter.«
»Plus sieben. Im Grunde hast du dieses System geschaffen. Wir haben ihm nur noch weiteren Feinschliff gegeben und sprechen heute von einer internen und einer externen Organisation. Wenn wir jemand rekrutieren, wird er eine Weile
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