Vergebung
oder Sie heute zu viel zu tun haben, dann komme ich doch vielleicht morgen wieder.«
»Nein, nein. Mein Job besteht heute nur darin, einen Leitartikel mit viertausendfünfhundert Anschlägen über die Demonstrationen zum 1. Mai zu schreiben. Ich hab schon so viele geschrieben, das könnte ich auch im Schlaf. Wenn die Sozis Krieg mit Dänemark anfangen wollen, muss ich erklären, warum sie falschliegen. Wenn die Sozis Krieg mit Dänemark vermeiden wollen, muss ich auch erklären, warum sie falschliegen.«
»Dänemark?«, fragte Erika.
»Jedenfalls muss auf die Konflikte in der Integrationsfrage Bezug genommen werden. Und die Sozis liegen selbstverständlich falsch, egal was sie sagen.«
Plötzlich musste er lachen.
»Das klingt ganz schön zynisch.«
»Willkommen bei der SMP .«
Erika hatte nie eine Meinung zu Chefredakteur Håkan Morander gehabt. Er gehörte zur anonymen Elite der Chefredakteure. Wenn sie seine Leitartikel las, empfand sie ihn als langweilig und konservativ, als Experten für steuerliche Haarspaltereien, als typisch liberalen Kämpfer für die Meinungsfreiheit, doch war sie ihm noch nie persönlich begegnet.
»Erzählen Sie mir von dem Job«, bat sie.
»Ich höre am 30. Juni auf. Wir arbeiten also noch zwei Monate lang zusammen. Sie werden die positiven als auch auch die negativen Seiten kennenlernen. Ich als Zyniker sehe wohl hauptsächlich die negativen.«
Er stand auf und stellte sich neben sie vor die Glaswand.
»Sie werden merken, dass Sie da draußen eine ganze Reihe von Widersachern haben - den Chef vom Dienst oder ältere Redakteure, die sich ihre eigenen kleinen Imperien aufgebaut haben. Sie werden versuchen, ihren Bereich auszudehnen und ihre eigenen Schlagzeilen und Sichtweisen durchzusetzen, und wenn Sie ihnen Widerstand leisten wollen, müssen Sie ganz schön die Krallen zeigen.«
Erika nickte.
»Da wären zum Beispiel Billinger und Karlsson … die sind so ein Kapitel für sich. Sie hassen sich und haben Gott sei Dank nie dieselbe Schicht, aber sie benehmen sich, als wären sie beide verantwortliche Herausgeber und Chefredakteure. Da wäre Anders Holm, der Nachrichtenchef, mit dem Sie auch einige Kämpfe austragen werden. Und dann gibt es noch einige Reporter, die sich wie Diven aufführen und eigentlich längst in Rente hätten geschickt werden sollen.«
»Gibt es denn gar keine netten Mitarbeiter?«
Plötzlich lachte Morander.
»Doch! Aber Sie müssen selbst entscheiden, mit wem Sie gut klarkommen. Wir haben ein paar Reporter da draußen, die sind richtig super.«
»Und der Führungskreis?«
»Magnus Borgsjö ist der Aufsichtsratsvorsitzende. Er hat Sie ja sozusagen persönlich abgeworben. Er ist charmant, ein bisschen von der alten Schule und ein bisschen progressiv, aber in erster Linie ist er derjenige, der hier den Ton angibt. Daneben gibt es noch ein paar Mitglieder der Eigentümerfamilie, die hauptsächlich ihre Zeit absitzen, aber manche führen sich auch so auf, als wären sie professionelle Journalisten.«
»Hört sich ja nicht gerade unkompliziert an.«
»Es gibt hier eine klare Arbeitsteilung. Dennoch kommt es immer wieder vor, dass sich gewisse Leute in inhaltliche Belange einmischen, die damit eigentlich nichts zu tun haben. Ehrlich gesagt, Erika, Sie werden starke Ellbogen brauchen.«
»Würden Sie mir das näher erläutern?«
»Seit der Glanzzeit in den 60er-Jahren ist die Auflage um fast 150 000 Exemplare gesunken, und langsam nähert sich die SMP der Grenze, wo es unrentabel wird. Wir haben rationalisiert und seit 1980 über hundertachtzig Stellen abgebaut. Wir sind zum Boulevard übergegangen - was wir schon vor zwanzig Jahren hätten tun sollen. SMP gehört immer noch zu den großen Zeitungen, aber es fehlt nicht mehr viel, und wir rutschen langsam in die zweite Liga ab. Falls das nicht schon passiert ist.«
»Warum haben die dann ausgerechnet mich ausgesucht?«, wunderte sich Erika.
»Weil das Durchschnittsalter unserer Leser bei 50 aufwärts liegt und der Zuwachs bei den 20-Jährigen mehr oder weniger bei null. Deswegen hat sich die Führungsspitze überlegt, sie sollten sich die unwahrscheinlichste Chefredakteurin ins Haus holen, die sie sich vorstellen konnten.«
»Eine Frau?«
»Nicht nur irgendeine Frau, sondern die Frau, die das Wennerström-Imperium zerschmettert hat, als Königin des Investigativjournalismus gilt und gleichzeitig den Ruf genießt, tough zu sein wie keine Zweite. Denken Sie mal selbst darüber nach. Die Mischung war
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