Vergeltung am Degerloch
Türke versuchte, sich unsichtbar zu machen. Ein braunhäutiger Jüngling demonstrierte mit diamantbesetzter Uhr seinen Beruf als Dealer. Zwischen Zeitarbeitswerbung und dem Straßenbahnnetzplan war ein Gedicht geklebt: »Langsam schließen sich die Wunden der Jugend, und nichts will an ihre Stelle treten./ Auch das Leiden der Menschheit/ wird ja mal zum bloßen Routinefall;/ nun, dann kokelt die alte Seele wohl so allmählich zu Ende/ …« Rühmkorf. Der dickbäuchige Glotzer streifte mich beim Aussteigen. Ein Skinhead stieg ein. Der Türke war nicht in Gefahr. Die Dame mit den Goldringen schimpfte nicht über Ausländer.
Im Fernsehen erzählte eine muslimische Frau, wie sie den serbischen Soldaten oral befriedigen musste. Der Chef der moslemischen Partei erklärte, er sei der Meinung, dass man diesen Frauen durchaus verzeihen könne. Der Krieg unter den Ländern Jugoslawiens produzierte uneheliche Kinder, die niemand liebte. Zwischen Nachrichten und Wetter die Werbung. Ein Mann ließ die Finger um den Spiegeleibusen einer liegenden Frau kreisen. Schwarzweiß mit Weichzeichner und Love-Story-Geklimper dazu. Dazwischen geschnitten die Fragen: »Warum schalten Sie nicht ab? Haben Sie nichts Besseres zu tun?« Dann Rotschwarz: »Eine Empfehlung von Jade Man.«
Sally rief an. Sie hatte einen Salat fertig und suchte jemanden, der sie von Schokoriegeln abhielt. Ich erklärte, dass ich einen Anruf erwartete. Die schiere Neugierde trieb sie zusammen mit der Schüssel Salat und ihrer Schäferhündin Senta zu mir. Sie löcherte mich so lange, bis ich zugab, dass ich auf den Anruf meiner Chefin wartete und nicht auf den eines Lovers, von dem sie noch nichts wusste.
Ich wollte gerade ins Bett – Sally war schon länger wieder weg –, da klingelte das Telefon. Mein Herz machte einen Galoppsprung und strafte das, was ich Sally erzählt hatte, Lügen. Es war Krk.
»Nein«, sagte er. »Es gibt nichts Neues in dem Fall. Ich wollte nur …«
»Ja?«
»Was machst du gerade?«
»Nichts. Fernsehen, und du?«
Es knisterte in der Leitung. »Nichts. Störe ich?«
»Nein.«
Es ging doch nichts über die verbale Dummheit Frischverliebter. Ich musste ihn sehen. Sofort. Aber die Vernunft hielt dagegen. Es war fast Mitternacht. Draußen war es finster, kalt und nass. Und wir waren beide über zwanzig. Ich nahm das Telefon und zog mich ins Schlafzimmer zurück. Ich setzte mich auf die Dielen mit dem Rücken gegen das Bett. Ich hatte sein Atmen am Ohr. Er rauchte, das hörte ich.
»Du, hör mal …«, begann er.
»Was sonst?«
Er versuchte zu lachen. »Ich muss dir was sagen.«
»Du bist verheiratet und hast sieben Töchter«, schlug ich vor.
»Darum geht es nicht. Aber klar, auch ich war mal verheiratet. Wir haben uns getrennt. Wir haben uns nicht verstanden. Es lag an mir. Ich meine, ich tauge nicht für eine normale Beziehung.«
»Willst du kneifen?«
Er atmete. »Vielleicht.«
»Dann war also doch was mit dieser Schülerin«, stellte ich fest.
»Nein.« Er klang erstaunt.
»Und die Aktfotos?«
Es knisterte. »Die Medien haben eine etwas plakative Sicht auf die Dinge«, sagte er schließlich. »Aktfotos haben mit Sex nichts zu tun, auch nicht mit Pornografie.«
Ich lachte hart. »Ich weiß schon. Aktfotos sind Kunst. Aber mussten es ausgerechnet Schülerinnen sein?«
»Es waren keine Schülerinnen, sondern Nutten. Die ziehen sich wenigstens für Geld aus und wollen nichts weiter.«
Ich hegte stille Zweifel. »Was ist es dann, was du mir zu sagen versuchst? Du bist schwul?«
»Das ist nicht mein Problem.«
»Vielleicht«, sagte ich, »sollten wir nicht über Probleme reden. Männer sind darin nicht sonderlich geschickt, und ich habe keinen Klärungsbedarf.«
»Aber ich.« Er hatte endlich seine Linie gefunden und wollte sie durchziehen. »Wie gesagt«, sagte er, »ich war verheiratet. Ich habe sie durchaus geliebt. Aber sie … ich … ich meine … es hat nicht geklappt. Auch im Bett nicht. Wahrscheinlich war es meine Schuld.«
Üblicherweise beichtete ein Mann einer Fremden seine sexuellen Probleme mit der Gattin nur, wenn er sie verführen wollte, nicht, um sich von ihr loszumachen.
»Es ist besser«, fuhr er fort, »wenn ich … ich meine, es gibt Professionelle. Man bezahlt und ist hinterher keine Rechenschaft schuldig. Man muss nicht mit ihr frühstücken und so weiter, du verstehst?«
»Nein.«
Dass Männer Huren bevorzugten, weil man sie hinterher nicht anlächeln musste, hatte ich schon gehört. Mir
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