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Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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linienreiche Gesicht einer erfahrenen Ehrenamtlichen.
    »Wir suchen eine Leiche«, sagte Krk.
    Die Frau blickte flink über das Gräberfeld. »Wann war denn die Bestattung?«
    Krk ließ das Kinn fallen.
    »Im August 94, so um den sechsten herum«, sagte ich.
    Die Frau orientierte sich. »Damals wurde in Abschnitt D beerdigt. Wie heißt denn der Verblichene?«
    »Ja, äh …«, machte ich.
    »Der Tote, den wir suchen«, sagte Krk bestimmt, »wurde am 6. August beerdigt.«
    »Falsch«, widersprach ich. »Am sechsten stand es in der Zeitung. Verschwunden ist Magdalena früher.« Ich entfaltete meine Leichenliste, die ich, ebenso wie Uwes Notizbuch, in den unerschöpflichen Innentaschen meiner Herrenlederjacke stets bei mir trug. »Hier haben wir es. Seit Sonntag vermisst. 27 Jahre, blond, blauäugig, 179 Zentimeter groß, schlank. Der Artikel ist vom Mittwoch, von einem gewissen Krk. Der Freund kam natürlich Sonntagabend heim. Also muss die Tat in der Nacht von Samstag auf Sonntag geschehen sein. Wir suchen einen Toten, der am Sonntag, den 4. August begraben wurde.«
    »Sonntags wird nicht beerdigt«, sagte die Frau.
    »Dann Montag, den 5. August 1994«, sagte ich zufrieden.
    Dafür kam die Frau ins Grübeln. »Ich weiß wirklich nicht, ob ich Ihnen solche Auskünfte erteilen darf.«
    Krk zog seinen Presseausweis. »Wir recherchieren in einem Mordfall, den die Polizei bisher noch nicht aufgeklärt hat. Eine junge Frau wurde umgebracht. Bitte helfen Sie uns.«
    Er konnte sehr charmant sein.
    Die Frau ging, um in den Büchern nachzuschauen. Als sie wiederkam, stand die Röte der Begeisterung auf ihren Ba cken. »Hier entlang.«
    Krk ging neben ihr her, Schulter an Schulter. Er beherrsch te diese Verbrüderung mit Fremden. Was ihm die Frau erzählte, konnte ich nicht hören, denn ich trottelte hinterher. Wir gelangten an den Rand der Kriegsgräber. Die Friedhofsfürsorge blieb an einem polierten Grabstein zwischen zwei Lebensbäumchen stehen. Ein gewisser Wolfgang Nöter. Die Blumenrabatten waren winterlich stillgelegt.
    »Hier ruht Magdalena«, sagte ich. »Uwe fand das offene Grab, grub noch ein Stückchen tiefer, legte die Leiche hinein, klopfte die Erde darüber fest. Zwei Tage später senkte sich der Sarg darauf. Asche zu Asche, Staub zu Staub und Wurm zu Wurm.«
    Die Friedhofsfrau starrte uns entgeistert an.
     

22
     
    Ich räumte meinen Schreibtisch auf, ordnete die Ordner, aktualisierte die Autorinnenkartei, schrieb verschluderte Absagen, schickte Manuskripte zurück, leerte den Aschenbecher in den Papierkorb und den Papierkorb in den Müllsack in der Küche.
    Krk hatte versprochen, sich mit seinem Kontaktmann bei der Polizei in Verbindung zu setzen. Aber ob unsere hypothetische Konstruktion für eine Exhumierung reichte, war mehr als zweifelhaft.
    Ich dachte an unser wildschweinisches Rencontre auf der Waldlichtung. Krk und ich hatten uns zum Abschied – er musste sich ebenso wie ich erst umziehen, bevor er in die Redaktion fuhr – nicht einmal die Hand gegeben.
    Die gute alte Romantik hatte durchaus ihre Vorteile. Man traf sich gesittet, machte sich einfältige Komplimente, versicherte sich gemeinsamer Interessen und ehrenwerter Absichten, spielte die Geilheit herunter, wagte ein Händchenhalten, dann eine Kitzelei im Kino, einen ersten Kuss vor der Haustür und hob sich den Beischlaf als Erlösung aus gesteigertem hormonellem Wahnsinn auf. Verliebtsein nannte sich das, glaube ich. Man wirft sich nicht an den Erstbesten weg, pfleg te meine Mutter zu sagen. Feminismus und Katholizismus pass ten gut aufeinander, was das Instrument Sex betraf. Die einzi ge Form, weibliche Sexualität in den Augen des Beschälers aufzuwerten, war Vorenthaltung und Frigidität. Als ich noch die Landpomeranze war, gab es Hochzeitsträume. Heute gab es Ausrutscher und nasse Schlüpfer.
    Das Stimmengemurmel im Sekretariat hatte sich unauffällig zu einem hysterischen Gekreisch ausgeweitet. Helga stand mit rotem Gesicht an Marthas Schreibtisch, gestikulierte mit einem Manuskript und schrie Marie an, die in ihrer Tür stand. Martha, der Disharmonien körperliches Unbehagen bereiteten, schwitzte an ihrem Computer und duckte sich, sobald Helga wieder loslegte: »Von einer intellektuellen Heterofotze lass ich mir doch nicht vorschreiben, was ich zu schreiben habe. Du mit deiner Erbschaftsvilla in Degerloch hast doch keine Ahnung, wie eng es bei den Türkinnen zugeht, die zu vierzehnt in einem Zimmer hausen müssen.«
    »Trotzdem meine

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