Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
geschickt.
Jetzt ist er tatsächlich abgetaucht.
Donovan ist die beste Spur, die wir haben, denkt Wendelin. Du weißt, dass Collins einen Deal mit Donovan abschließen wollte, wobei der dich auf deine Nachfrage hin bereits höflich gebeten hat, dich zu verpissen und anschließend selbst verschwunden ist.
Also such Donovan, dann findest du Collins.
Allerdings hast du keinen Schimmer, wo auf dieser Welt sich Mike Donovan aufhalten könnte.
Aber besser wär’s, du findest ihn.
Sonst …
Über die Alternativen will Wendelin lieber erst gar nicht nachdenken.
✦
Sie ist schwarz.
Dave sieht die Murmel aus Donovans Hand auf den Tisch fallen.
Der Auftrag wurde abgelehnt.
Es ist vorbei.
Er steht auf und geht.
Mike Donovan betrachtet sein Team.
»Dave Collins hat mich immer wieder aus der Scheiße gerettet, öfter, als ich zählen kann«, sagt er. »Wäre er nicht gewesen, würde ich bei meinen Freunden in Arlington liegen. Ich weiß nicht, wie’s bei euch Arschlöchern aussieht, aber meine künftige Ex-Frau könnte eine halbe Million Dollar ganz gut gebrauchen. Und deshalb nehme ich diesen Job an.«
Er hält inne und blickt nacheinander jedem einzeln in die Augen.
»Wenn jemand nicht mitkommen will«, sagt er, »nichts für ungut. Ich halte deshalb nicht weniger von ihm. Ich werde ihn grüßen, wenn wir uns sehen, Weihnachten eine Karte schicken und gerne auch mal ein Bier mit ihm trinken gehen. Aber ich will nie wieder mit ihm arbeiten.«
Er sieht sich im Raum um, dann sagt er: »Wer gehen will, soll es jetzt tun. Cody fährt euch nach San José.«
Dave sitzt auf der Pritsche in dem Container, der als Gästeunterbringung dient.
Er weiß nicht, was er machen soll.
In die Staaten fliegen, denkt er, und ein anderes Team suchen. Dann klopft es an der Tür, und Donovan duckt sich unter dem Türrahmen durch.
»10,5 Millionen für Honorare und zwei Millionen für Auslagen müssen morgen Abend bei Geschäftsschluss auf unserem Nummernkonto liegen.«
»Was ist passiert?«
»Keine Ahnung, irgendwie haben sie sich’s dann doch anders überlegt.«
»Alle?«
»Alle«, sagt Donovan. »In dreißig Minuten gibt’s Essen. Danach würde ich mich an deiner Stelle aufs Ohr hauen. Um fünf fangen wir mit der Arbeit an. Bevor wir diese Typen töten können, müssen wir sie finden.«
»Ich schließe meine Augen nicht«, sagt Dave.
Donovan nickt.
Sie beide schließen ihre Augen nicht, niemals.
Als Dave am Abend zurück in seinen Container will, steht Amir plötzlich vor ihm.
»Amir?«
Der Palästinenser dreht sich um. »Ja?«
»Darf ich fragen, warum du deine Meinung geändert hast?«, fragt Dave. »Ich dachte, du hältst nichts davon, Muslime zu töten.«
»Wir bringen uns ständig gegenseitig um«, erwidert Amir. »Sunniten töten Shiiten. Die Hamas tötet die Fatah. Die Salafisten töten die Ungläubigen. Im Prinzip sind wir eine Horde mordender Fanatiker. Wenn wir ausnahmsweise mal niemanden bombardieren, enthaupten wir unsere Feinde.«
»Okay, entschuldige, dass ich gefragt habe.«
»Hör zu, du hasst mich und ich hasse dich«, sagt Amir. »Belassen wir’s dabei.«
»Du hast mir immer noch nicht gesagt, warum du geblieben bist.«
Amir starrt ihn an und sagt: »Weil ich sonst nirgendwo hin kann.«
Zum Schluss konnte er’s dann doch nicht tun.
Konnte nicht tun, was er zu tun versprochen hatte.
Amir Haddad wuchs im Flüchtlingslager Bureij im Gaza-Streifen auf. Er lebte mit seinem Bruder, drei Schwestern und einer steinalten Tante in einer Unterkunft aus Beton zwischen alten britischen Militärbarracken. Das Lager entstand 1949, als Zionisten die Palästinenser aus ihrem Land vertrieben. 1953 infiltrierte die zionistische Einheit 101, der Vorläufer der gefürchteten Sajeret Matkal, das Lager im Rahmen einer Übung. Als sie entdeckt wurden, warfen sie Granaten, feuerten mit Maschinengewehren in die überfüllten Unterkünfte und töteten 43 unbewaffnete Menschen.
Amirs Vater war damals noch ein Junge – später erzählte er seinen Söhnen davon.
Als Amir dort aufwuchs, war das Lager immer noch überfüllt – 35 000 Menschen ohne Abwassersystem in gerade mal 530 dunums . Der Dreck wurde einfach in den Wadi Gaza geschwemmt, und auch der permanente Gestank gehört zu Amirs Kindheitserinnerungen. Im Lager gab es keine eigenen Wasservorräte, es wurde von einem zionistischen Unternehmen reingepumpt – und verkauft. Wenn sich die Palästinenser »schlecht benahmen«, wurde ihnen der Hahn
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