Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
verraten.
Er schrieb an seine Familie, und sein Vater schrieb zurück:
»Ich kann nicht mehr erhobenen Hauptes durch die Straßen gehen. Du hast Schande über uns gebracht. Für mich bist du tot.«
Drei Jahre später kam er durch einen Gefangenenaustausch frei. Nach drei Jahren Isolation, Einsamkeit, innerer Einkehr.
Sie setzten ihn in einen Bus und warfen ihn an der Grenze zu Gaza raus.
Niemand hieß ihn willkommen.
Er hatte kein Zuhause.
Niemanden und nichts.
Nur seinen Hass – auf die Zionisten, die ihm sein Land genommen, seine Mutter getötet und ihn gefoltert hatten. Auf die Bewegung und die Familie, von der er verstoßen wurde.
Auf sich selbst.
Er stand an der Grenze, starrte den Stacheldraht an.
Dann kam ein großer, muskulöser Mann auf ihn zu.
Zunächst hielt Amir ihn für einen Zionisten, aber der Mann sprach Englisch mit amerikanischem Akzent.
»Du brauchst ein Zuhause«, sagte Donovan. »Und ich brauche einen Araber.«
Jetzt erteilt Amir dem Amerikaner, der die Terroristen töten will, die seine Familie »ermordet« haben, eine Abfuhr. Glaubt er, durch amerikanische Adern fließt goldenes Blut und durch unsere Wasser? Hält er sich für den einzigen, der seine Familie verloren hat?
Dann geht Amir am Container des Zionisten vorbei.
Dem Mann von der »Einheit«.
Amir weiß, was sie beide wissen.
Dass früher oder später einer den anderen töten wird.
»Die Einheit« war die Elite der Eliten, eine geheime Bruderschaft, zu deren ehemaligen Kommandanten allein zwei israelische Premierminister zählen. Und Danny Lewin, geboren in Denver, aber aufgewachsen in Israel, war der Erste, der am 11. September ums Leben kam, als er die Terroristen daran hindern wollte, American Airlines Flug 11 zu entführen.
»Die Einheit«, die von einer geheimen Basis in der Wüste Negev aus operiert – auf israelischen Karten ist die gesamteRegion geschwärzt –, wurde nach dem Vorbild der »36 Gerechten« gegründet – den geheimen Kriegern, die die Welt laut Talmud vor der Zerstörung retten.
Lev genügte es schon, sein eigenes Land zu retten.
Umzingelt, unterlegen und von Auslöschung bedroht – wobei die Erfahrung des Holocaust belegt, wie real die Bedrohung war –, musste sich Israel eher auf List denn auf Stärke besinnen. Die Einheit spiegelte das wider – die meisten der ihr angehörenden Soldaten waren wie Lev klein, zart gebaut und wurden aufgrund ihrer Intelligenz, Agilität und Widerstandsfähigkeit angeworben.
Sie operierten in Gruppen zu fünfzehn oder zwanzig Mann, häufig verdeckt. Lev kann ohne weiteres als Syrer, Jordanier, Beduine oder Palästinenser durchgehen.
Während seiner Ausbildung wurde er eines Nachts von arabisch gekleideten Männern entführt, in einen Verschlag in der Wüste verschleppt und drei Tage lang brutal verhört.
Lev knickte nicht ein.
Die letzte Feuerprobe gegen Ende seiner zweijährigen Ausbildung bestand darin, dass man ihn in der Wüste aussetzte und er alleine den Weg zurückfinden musste.
Lev fand’s toll.
Er liebte es, durch die Wüste Negev zu wandern, durch das Land der Propheten, das Land, das seine Großeltern als ihre Heimat beanspruchten. Vier Tage intensive Auseinandersetzung mit jahrtausendealter Geschichte waren für ihn keine Tortur, sondern eine Freude, und niemals wird er das Ende dieses Ausflugs vergessen.
Wie für jeden anderen Auszubildenden auch endete seine Odyssee in Masada, der berühmten Bergfestung, wo Juden einst nach schier endloser Belagerung durch die Römer den Freitod wählten, um der Kapitulation zu entgehen.
Bei Sonnenuntergang stieg er auf den Berg, jede Kehre des gewundenen Wegs offenbarte einen neuen Ausblick auf seine in rotes Licht getauchte Heimat.
Oben erwarteten ihn seine neuen Kameraden, feuerten ihn an.
Und dann kam der Kommandant der Einheit mit einem Hubschrauber angeflogen, heftete ihm die begehrten Insignien an die Brust, umarmte ihn und hieß ihn in der Bruderschaft willkommen.
Lev hatte seine Prüfung gerade rechtzeitig zum Libanonkrieg 2006 bestanden, wo er Anführer der Hisbollah jagte und ermordete. Er nahm Teil am Überfall auf die Hisbollah in Budai, bei dem der Stellvertreter des kommandierenden Offiziers, Dan Moreno, und zwei weitere in einer erbitterten Feuerschlacht getötet wurden. An jenem Tag heizte ihnen die Hisbollah gehörig ein, sie mussten mit Helikoptern rausgeholt werden. Aber sie gingen nicht ohne die Leichen ihrer getöteten Kameraden.
Und fünf gefangenen Angehörigen der
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