Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
Vom Netzwerk:
getötet hatte. Carol sagte sich, dass man den grausamen Schnitt, mit dem die Kehle aufgeschlitzt wurde, als eine Art Gnadenstoß ansehen musste, allerdings von der Art, die sie hoffte, nie selbst zu benötigen. Der Schnitt war so tief, dass er die großen Blutgefäße durchtrennt hatte. Durch den Druck in den Arterien hatte das Blut eine beträchtliche Strecke zurückgelegt, die Spritzer waren überall auf dem Boden zu sehen, außer an einer Stelle. »Dort hat er gestanden«, sagte sie. »Er muss von oben bis unten voller Blut gewesen sein.«
    »Er muss verdammt stark sein«, vermutete Paula. »Ein Holzkreuz mit einem Menschen dran zu bewegen, das ist Schwerstarbeit. Ich glaube nicht, dass ich das könnte.«
    Die in einem weißen Schutzanzug steckende Gestalt neben der Leiche drehte sich um. Seine Worte waren durch die Maske leicht gedämpft, aber Carol hörte ihn gut. Sie erkannte den kanadischen Akzent des Gerichtsmediziners Grisha Shatalov vom Innenministerium. »Die Balken sind nur acht auf zwölf Zentimeter. Und sie wiegt fast gar nichts. Ich würde sagen, eine klassische Junkiefigur, nur gibt es keine Anzeichen von Einstichen. Ich wette, Sie könnten sie aufheben und ohne allzu viel Anstrengung hinschleppen, DC McIntyre.«
    »Wie lange ist sie schon tot, Grisha?«, fragte Carol.
    »Sie stellen mir nie die Fragen, auf die ich eine Antwort weiß«, sagte er scherzhaft, klang aber erschöpft. »Bis jetzt kann ich nur annehmen, dass sie seit ungefähr vierundzwanzig Stunden tot sein muss.«
    »Die Halle steht schon seit vier Monaten leer«, berichtete Reekie. »Der Mann vom Sicherheitsdienst hatte nicht bemerkt, dass die Tür am Hintereingang aufgebrochen worden war.« Er versuchte nicht, seine Verachtung zu verbergen.
    »Wie wurde sie gefunden?«, fragte Carol.
    »Das Übliche. Ein Mann ging spätabends noch mal mit seinem Hund raus. Der Hund lief schnurstracks zur hinteren Tür. Er muss das Blut gerochen haben.« Reekie rümpfte die Nase. »Das überrascht ja nicht gerade. Sein Herrchen sagt, der Hund sprang gegen die Tür, da ging sie auf, der Hund verschwand im Gebäude und kam nicht zurück, als er ihn rief. Also ging er mit der Taschenlampe rein. Kaum hatte er einen Blick auf all das geworfen, rief er uns auch schon an.« Er ließ ein freudloses Lachen hören. »Wenigstens war er so vernünftig, den Hund festzuhalten, bevor der den Tatort völlig ruinierte.«
    »Aber Dr. Shatalov glaubt, dass sie gestern Abend getötet wurde. Wieso hat der Hund sie da nicht gefunden?«
    Reekie blickte zu seinem Detective Inspector. Bis jetzt hatte der geschwiegen, wusste aber, was von ihm erwartet wurde. »Laut Hundebesitzer haben sie gestern Abend einen anderen Weg genommen. Natürlich werden wir das überprüfen.«
    »Dem, der die Leiche entdeckt, sollte man niemals trauen«, sagte Reekie.
    Als wüssten wir das nicht. Carol musterte die Leiche, nahm jede Einzelheit wahr und fragte sich, welche Umstände diese junge Frau hierhergebracht hatten. »Identität?«, fragte sie.
    »Bis jetzt nicht«, antwortete Spencer. »Wir haben draußen Richtung Flughafen ein Problem mit Straßenprostitution. Hauptsächlich Frauen aus Osteuropa. Wahrscheinlich ist sie von dort.«
    »Oder er brachte sie von der Stadt hier heraus. Von Temple Fields«, warf Paula ein.
    »Die beiden Ersten waren aus der Umgebung«, sagte Reekie.
    »Na ja, hoffen wir, dass Grisha ihr ein so menschliches Aussehen geben kann, dass sie auf einem Foto zu erkennen ist«, meinte Carol. »Sie sagten ›die ersten zwei‹, Sir. Sind Sie sicher, dass es sich hier um eine Serie handelt?«
    Reekie wandte sich wieder der Leiche zu. »Zeigen Sie es ihr, Doc.«
    Grisha deutete auf etwas an der Innenseite des Handgelenks der Frau, das wie eine Tätowierung aussah. Es war zum Teil mit Blut beschmiert, aber Carol konnte trotzdem die Buchstaben MEINE erkennen. Eine Botschaft, die widerwärtig, krank und unverschämt war. Und doch flüsterte eine teuflische Stimme in Carols Hinterkopf: »Mach das meiste draus. Wenn du nach West Mercia gehst, wirst du nie wieder einen so interessanten Fall bekommen.«

6
    T rotz der verschwindend geringen Chancen hatte sich Vance durch Jahre scheinbar vorbildlichen Verhaltens einen Platz in der therapeutischen Gemeinschaft im HMP Oakworth mitten in der Pampa von Worcestershire erarbeitet. Das Licht musste in diesem separaten Gefängnistrakt nicht zu einer bestimmten Zeit gelöscht werden. Die Insassen konnten die Lampen aus- und einschalten, wann

Weitere Kostenlose Bücher