Vergeltung
ihm während der Fahrt nach Worcester gekommen waren.
Nach Mitternacht hatten sie sich getrennt, und Ambrose war zum Polizeirevier aufgebrochen, um sein Team zu informieren und Anweisungen zu geben. Aber für Tony gab es nichts mehr zu tun. Wenigstens hatte er noch die Steeler, Arthur Blythe’ perfekt gepflegtes Kanalboot. Es gab ihm nicht denselben Frieden wie das Haus, aber es war besser als nichts. Und er hatte Fotos aus dem Haus mit nach Bradfield genommen, so dass er noch konkrete Bilder von dem Mann hatte, dessen Gene er in sich trug. Tony versuchte, daraus Trost zu ziehen, aber es funktionierte nicht. Er fühlte sich trotzdem ausgehöhlt und geschändet.
Dann bekam er Paulas Nachricht und begriff das volle Ausmaß seines Versagens, denn er war seiner Aufgabe in keiner Weise gerecht geworden. Vance schien darauf aus, ihm alles zu nehmen, was ihm wichtig war. Es gab für ihn zwei Möglichkeiten zu reagieren. Er konnte dem Schmerz und dem Verlust nachgeben, alles zurücklassen und den Rest seiner Tage zerrissen und voller Reue verbringen. Oder er konnte seine Wut gen Himmel schreien: »Ihr könnt mich alle mal!« Und sich wieder damit befassen, Männern wie Vance das Handwerk zu legen. Tony rief sich ins Gedächtnis, dass es Jahre gegeben hatte, bevor Carol in sein Leben getreten war, und noch mehr Jahre, bevor das Haus zu ihm gehört hatte. Er hatte in diesem Dschungel ganz gut gelebt. Das konnte er auch jetzt wieder tun.
Tony trank seine Tasse aus und erhob sich. Wie ging der alte Spruch noch gleich – wenn du nichts hast, dann hast du nichts zu verlieren.
40
U nfassbar erschöpft und von Kummer gebeugt, lehnte sich Paula gegen die Motorhaube und zündete eine Zigarette an. »Kann ich auch eine haben?«, bat Kevin. Er war noch blasser als sonst, die Haut um seine Augen herum schien fast grünlich. Er sah aus, als hätte er sehr wenig geschlafen, was auch so war. Sinead war kurz nach Mitternacht gekommen; sie waren zwei Stunden bei ihr geblieben und hatten versucht, ihr Trost zuzusprechen, wo es keinen geben konnte. Dann war Paula nach Haus gegangen und hatte im Bett gelegen, die Decke angestarrt und Elinors Hand gehalten.
»Ich dachte, du hättest es aufgegeben«, sagte sie und gab ihm die Packung.
»Hab ich auch. Aber an manchen Tagen …« Kevin zitterte. Paula wusste genau, was er meinte. An manchen Tagen sehnten sich die überzeugtesten Nichtraucher nach der Nikotinkrücke. Er zündete die Zigarette mit den geübten Bewegungen eines Mannes an, der nicht vergessen hat, welchen Spaß das Rauchen macht, und inhalierte gierig. Seine Schultern senkten sich merklich, als er den Rauch ausstieß. »Nach gestern … Da meint man, man hat alles gesehen. Und dann sieht man das.«
»Das« war der Inhalt eines Kartons, der hinter einem Laden mit Gefrierkost in der Nähe der Hochhäuser in Skenby abgestellt worden war. Er war kurz vor Tagesanbruch von einem Angestellten entdeckt worden, der den Auftrag hatte, die Verladerampe für eine frühe Anlieferung zu öffnen. Der Karton war circa einen Meter lang, einen halben Meter tief und genauso breit. Er stand mitten auf der Verladerampe, und früher einmal waren Tüten mit Backofen-Pommes darin verpackt gewesen. Dass er jetzt etwas ganz anderes enthielt, ergab sich aus dem dunklen Fleck auf der Pappe und den ausgelaufenen Pfützen rötlich brauner Flüssigkeit. Der Angestellte, der nicht genug verdiente, um sich irgendwelche Gedanken über seine Arbeit zu machen, öffnete den Karton, klappte umgehend zusammen, schlug sich den Kopf auf dem Beton an und war bewusstlos. Der Lieferant fand ihn noch ohnmächtig neben dem Karton mit einer verstümmelten Leiche vor. Daraufhin war ihm schlecht geworden, womit er die Verschmutzung des Tatorts vollendete.
Die ersten Polizisten vor Ort hatten unverzüglich das Sondereinsatzteam angerufen, hauptsächlich weil die Gliedmaße, die in dem Karton zuoberst lag, ein Arm war, auf dem unmittelbar über dem Handgelenk das Wort »MEINE« eintätowiert war. Paula und Kevin waren eingetroffen, als der Arzt die Teile im Karton gerade offiziell für tot erklärte. »Was haben wir bis jetzt?«, hatte Kevin gefragt.
»Sie werden auf den Pathologen warten müssen, der Ihnen eine definitive Antwort geben kann«, erwiderte der Arzt. Selbst er sah im grauen Licht der Morgendämmerung ein bisschen blass und gequält aus. »Aber ohne weitere Anhaltspunkte würde ich sagen, wir haben eine Leiche vor uns, die in Einzelteile zerlegt wurde. Es ist
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