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Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Katie Piper gesehen, das Model, dem Säure ins Gesicht geschüttet wurde?«
    »Nein.«
    »Ich würde nicht empfehlen, dass du sie dir in nächster Zeit anschaust.« Seine Stimme versagte, und plötzlich war der Raum erfüllt von seinem lauten Schluchzen.
    Paula schlang die Arme um ihn, und sie standen in dem trostlosen kleinen Raum beisammen und weinten um alles, was sie verloren hatten.

    Es war nicht das erste Mal, dass Carol die Nachricht vom Tod eines Kindes überbringen musste. Aber es war niemals so schlimm gewesen. Es war etwas völlig Verkehrtes daran, eine so schreckliche Nachricht an der Tür der eigenen Eltern zu übermitteln. Aber es war immer noch besser, als wenn ein Fremder diese Rolle übernommen hätte, obwohl sie wusste, dass ihre Mutter ihr nie wieder die Tür würde öffnen können, ohne sich an diesen entsetzlichen Augenblick zu erinnern.
    Bei den Worten »Michael ist tot«, war ihre Mutter in ihre Arme gesunken. Die Kraft war aus Jane Jordans Körper verschwunden. All ihre Energie war als schrecklicher Klagelaut aus ihrem Körper gewichen. Carols Vater kam bei dem Geräusch aus der Küche gelaufen und stand hilflos daneben; er wusste nicht, was los war.
    »Michael ist tot«, wiederholte Carol. Sie fragte sich, ob sie das jemals wieder würde sagen können, ohne diesen stechenden Schmerz in der Brust zu spüren. David Jordan wankte und hielt sich an einem Dielentisch fest, der unter seiner Hand ins Wanken kam. Ihre Mutter stieß immer noch den gleichen schaurigen Klagelaut aus.
    Carol versuchte, sich durch die Türöffnung zu schieben, aber es war schwierig durchzukommen. Alice Flowers drückte sich trotz ihrer Körperfülle an ihnen vorbei, stützte Jane von hinten, und so konnte Carol eintreten und die Tür schließen. Gemeinsam bugsierten sie Jane ins Wohnzimmer und legten sie auf ein Sofa.
    David folgte ihnen verwirrt und hilflos. »Ich begreife das nicht«, sagte er. »Wie kann Michael tot sein? Ich habe heute Morgen eine E-Mail von ihm bekommen. Es muss ein Irrtum vorliegen, Carol.«
    »Dad, es ist kein Irrtum.« Sie ließ Alice bei ihrer Mutter auf dem Sofa und ging zu ihrem Vater. Sie legte die Arme um ihn, aber er war so steif, wie er es angesichts von Gefühlsäußerungen der weiblichen Familienmitglieder immer gewesen war. David war ein toller Vater gewesen, wenn es darum ging, Spaß zu haben, oder wenn man mit den Matheaufgaben nicht weiterwusste. Aber er war nie derjenige gewesen, zu dem man ging, wenn man mit Emotionen kämpfte. Und doch klammerte sie sich an ihn, sich nur undeutlich bewusst, dass er dünn geworden war, ein schwaches Abbild seines kraftvolleren Ichs. Wie hat das geschehen können, ohne dass ich es bemerkte? Eine endlos lange Zeit schien zu verstreichen. Endlich ließ Carol ihren Vater los. »Ich brauche etwas zu trinken«, sagte sie. »Wir alle brauchen etwas.«
    Sie ging in die Küche und kam mit einer Flasche Whisky und drei Gläsern zurück, goss einen großen Whisky in jedes Glas und leerte ihres mit einem Schluck. Nachdem sie es wieder aufgefüllt hatte, reichte sie ihrem Vater ein Glas; er stand da, als hätte er noch nie einen Drink gesehen.
    Jane war völlig verstört und saß mit einem kummervollen Gesichtsausdruck an Alice gelehnt. Sie streckte eine Hand nach dem Whisky aus und kippte ihn genauso wie Carol hinunter. »Was ist passiert? War es ein Autounfall?«, fragte sie mit heiserer, gebrochener Stimme. »Diese blöden Sportwagen von Lucy. Ich wusste ja, dass es gefährlich ist.«
    Carol setzte sich, den Whisky in Griffweite. »Es war kein Autounfall, Mum. Michael wurde ermordet. Und Lucy auch.« Ihre Stimme wurde am Ende des Satzes höher, und sie spürte, wie sich ihr die Kehle zuschnürte und ihr die Tränen kamen. Den ganzen Tag hatte sie sich zusammengenommen, und jetzt fing sie an, die Fassung zu verlieren. Es hatte wohl etwas damit zu tun, dass sie bei ihren Eltern war, dachte sie. Obwohl sie diejenige war, die die Rolle der Erwachsenen einnahm, konnte sie nicht umhin, in ihre natürliche Stellung der emotionalen Hierarchie zurückzufallen.
    Jane schüttelte den Kopf. »Das kann nicht stimmen, Liebes. Michael hatte überhaupt keine Feinde. Du musst völlig verwirrt sein.«
    »Ich weiß, es ist schwer zu begreifen, aber Carol hat recht.« Alice Flowers zeigte mit der sanften Bestimmtheit ihres Tonfalls, wieso ihr die Aufgabe der Familienbetreuung übertragen worden war.
    »Was ist passiert?«, fragte David unvermittelt und ließ sich auf den

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