Vergeltung
jeden Fall die Finger zu lassen hatte. Es mochte für Paula in Ordnung sein, Leib und Leben zu riskieren, indem sie hinter Carol Jordans Rücken mit Tony klüngelte. Bei Stacey kamen solche Spielchen jedoch von vornherein nicht in Frage. Drei der sechs Bildschirme waren somit für sie tabu. Sie zeigten ständig wechselnde Datenkolonnen an, doch worum es dabei ging und ob da irgendwelche für das Team relevante Ergebnisse ablesbar waren, wusste Paula nicht. Stacey hatte ihr versichert, dass sie das System auch aus der Ferne überwachen könne, was Paula nicht unrecht war.
Auf die anderen Bildschirme musste sie allerdings aufpassen. Die Ermittlungsergebnisse der Northern Division, die dort vor Ort eingegeben wurden, landeten automatisch auch auf den Rechnern des Sondereinsatzteams. Natürlich war das nur der Fall, wenn man bei Northern auch gewissenhaft genug war, alles hochzuladen, was ihnen in den Weg kam, ohne eigenständig zu filtern oder Prioritäten zu setzen. Paula hoffte inständig, dass es da nicht irgendwelche Nullen gab, die hofften, sich einen Namen zu machen, indem sie Ermittlungsergebnisse für sich behielten, um auf eigene Faust zum Ziel zu gelangen. Sam hatte solche Tendenzen, und in den letzten Jahren hatte sich herausgestellt, dass sich sein Einzelkämpfer-Gen nur bis zu einem bestimmten Grad eliminieren ließ.
Es war also Paula, die als Erste mitbekam, dass das vierte Opfer identifiziert worden war. Dieses Mal war der Mörder deutlich achtloser vorgegangen und hatte die Handtasche des Opfers in einem Mülleimer ganz in der Nähe des Tatorts entsorgt. Paula schaute sich die Fotos der Handtasche an und bekam ein fleckiges, perlenbesticktes Beutelchen mit einem langen Schulterriemen zu Gesicht. Der Inhalt war säuberlich daneben aufgereiht: ein Dutzend Kondome, eine Geldbörse mit siebenundsiebzig Pfund, ein Lippenstift und ein Mobiltelefon. Was für ein trauriges Resümee eines Frauenlebens, dachte sich Paula.
Das Handy war auf eine Maria Demchak, wohnhaft in Skenby, registriert. Erste Nachforschungen – was immer das bei Northern bedeuten sollte, dachte Paula skeptisch – identifizierten sie als Illegale aus der Ukraine, eventuell durch Menschenhandel ins Land gekommen, die mit einem Dutzend anderer junger Frauen in einem Reihenhaus wohnte. Sie standen unter dem Schutz eines Ex-Boxers, der mit einer – zufällig russischen – Ex-Stripperin verheiratet war.
»Das ist ja interessant«, stellte Paula fest. Kevin Matthews, der einzige Beamte, der sich noch im Großraumbüro befand, kam zu ihr herüber, um ihr über die Schulter zu schauen. »Die hier hatte einen Zuhälter.«
»Er wird rücksichtsloser«, kommentierte Kevin. »Die ersten drei waren Einzelgängerinnen. Niemand kümmerte sich um sie, wenn sie draußen auf der Straße arbeiteten. Ein Zuhälter behält sein Kapital jedoch stets im Auge. Dieser Irre hält sich wohl für unbesiegbar. Vielleicht werden wir ihn dadurch schnappen können.«
»Ich hoffe, du hast recht. Schlampig wird er auch. Bei den anderen drei haben wir weder Ausweis noch Handtasche gefunden. Tony hatte vermutet, dass er sie als Souvenirs für sich behält.«
»Das vierte Opfer hätte man nicht öffentlicher plazieren können«, entgegnete Kevin »Jeder, der in der Passage einkauft, hat etwas von den blutrünstigen Einzelheiten mitbekommen. Da wird nicht nur die gute Penny Burgess nach Lynchjustiz schreien. Das wird landesweit für Aufregung sorgen. Oder nein, nicht nur landesweit, das kommt auch in die internationale Presse, so wie Ipswich vor ein paar Jahren.« Er kicherte. »Ich war im Urlaub in Spanien, als das passierte. Du hättest mal hören sollen, wie die spanischen Nachrichtensprecher versuchten, Ipswich auszusprechen. Ich sage dir, vergiss Vance. Wir werden weltweit Schlagzeilen machen.«
»Der Chefin wird das nicht gefallen.«
»Sie ist nicht hier, also wird sie im Moment nichts dazu sagen können. Pete Reekie wird diese Pressekonferenz leiten, und ich glaub kaum, dass er sich zurückhalten wird. Begreif das doch, Paula. Morgen werden wir den Hyänen der Presse Ihrer Majestät zum Fraß vorgeworfen. Und wir haben nicht das geringste Scheiß-Indiz, das wir ihnen geben können.«
Genau in diesem Moment klingelte das Telefon auf Staceys Schreibtisch. Beide streckten die Hand aus, doch Paula war schneller. »DC McIntyre«, meldete sie sich.
»Stacey hier.«
»Hallo, Stacey. Wir konnten Nummer vier identifizieren …«
»Ich weiß, ich hab dir doch
Weitere Kostenlose Bücher