Vergeltung
Schnitzereien verzierter Couchtisch, auf dem sich drei Fernbedienungen, eine Flasche Wein und ein einzelnes halbvolles Glas Rotwein befanden. Neben dem Tisch stand eine offene Aktentasche auf dem Boden. An der Wand gegenüber befand sich ein verzierter viktorianischer Kamin. Dort, wo man einen Kaminsims mit kunstvollen Ornamenten vermutet hätte, hing stattdessen ein Plasmafernseher, der sich über die ganze Breite des Kamins erstreckte. Der Raum machte den Eindruck eines Heimkinos, ein trauriger Vorführraum für eine Person.
Nun sah er eine Frau mit schulterlangem, goldbraunem Haar in einem weiten Kaftan das Zimmer betreten. Die Bildauflösung war nicht gut genug, um Details erkennen zu können, doch Vance war überrascht zu sehen, dass sich die Frau nicht wie jemand Ende sechzig bewegte. Sie nahm zwei der Fernbedienungen und machte es sich auf dem Sofa gemütlich, indem sie die Kissen so zurechtlegte, wie sie sie brauchte. Der Fernsehbildschirm erwachte zum Leben. Der Kamerawinkel machte es für Vance unmöglich zu erkennen, was sie sich anschaute, es schien sie jedoch auf jeden Fall zu fesseln.
Das war alles, was er wissen musste. Er plante hier keine besonderen Feinheiten. Eine ältere Dame allein in ihrem Haus, das war nicht gerade eine große Herausforderung. Vor allem, weil keine offensichtlichen Waffen in dem Raum auszumachen waren – keine praktischen Feuereisen oder klobigen Bronzefiguren. Mit einer Weinflasche würde er es aufnehmen.
Er beobachtete sie noch ein paar Minuten, klappte dann seinen Laptop zu und verließ das Lokal. Den Kaffee warf er unberührt in den Mülleimer. Niemand schenkte ihm Beachtung. Früher hätte ihn das geärgert, doch langsam lernte Jacko Vance, die Vorzüge der Anonymität zu schätzen.
Tony glaubte nicht an Omen. Nur weil er noch keine Begegnung mit der Verkehrspolizei gehabt hatte, obwohl er mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit die Autobahn entlangraste, hieß das noch lange nicht, dass der Himmel ihm gnädig gesinnt war. Es war zwar kurz mal ein Blaulicht in seinem Rückspiegel erschienen, doch hatte er sogleich die Spur gewechselt, und der Polizeiwagen war an ihm vorbeigedonnert, ohne dass er weiter beachtet worden wäre. Irgendjemand missachtete da wohl die Vorschriften noch mehr als er. Das bedeutete jedoch immer noch nicht, dass die Götter auf seiner Seite waren.
Abgesehen davon, waren seine Versuche, mit Carol in Kontakt zu treten, kläglich gescheitert. Alle paar Minuten wählte er ihre Nummer, doch jedes Mal schaltete sich die Mailbox ein. Zunächst hatte er noch gehofft, dass sie gerade durch eines der wenigen Gebiete mit schlechtem Mobilfunknetz fuhr, doch diesen Optimismus konnte er nicht länger aufrechterhalten. Anfänglich hatte er noch Nachrichten hinterlassen, dann aber bald damit aufgehört. Man konnte einen Menschen nicht mehr als zwei- oder dreimal davor warnen, eine Dummheit zu begehen. Ab einem bestimmten Punkt wurde das echt beleidigend.
Das Einzige, was ihm jetzt noch einfiel, war, sie zu schockieren und sie damit vielleicht für einen Moment handlungsunfähig zu machen. Er steuerte also die nächste Raststätte an und schrieb ihr eine SMS. »Ich liebe dich. Bitte, tu NICHTS, bis ich bei dir bin.« Das hatte er bis jetzt noch nie ausgesprochen. Es war vielleicht nicht gerade eine sehr romantische Gelegenheit, dachte er bei sich, doch vielleicht konnte er sie damit so erschrecken, dass sie für einen Moment innehielt. Sobald sie ihr Handy wieder einschaltete, würde sie es sehen. Noch bevor er darüber nachdenken konnte, ob das wirklich klug war, schickte er die Nachricht ab.
Tony fuhr zurück auf die Autobahn und fragte sich, wie Ambrose wohl vorankam. Vielleicht war das ja sein Team gewesen, das vor einer Weile auf der Überholspur an ihm vorbeigezogen war. Er war sich nicht sicher, ob er sich darüber freuen oder sich sorgen sollte. Er erwog, Ambrose anzurufen, doch bevor er es tun konnte, meldete sich Paula. »Kannst du reden?«, fragte sie.
»Ich fahre, aber ich hab ’ne Freisprechanlage«, antwortete er.
»Ich glaube, du hattest recht«, sagte Paula und erzählte ihm, was sie von Sergeant Dean erfahren hatte. »Ich warte jetzt nur noch darauf, dass Stacey mir eine Adresse nennt. Sie hat ja bereits alles überprüft, aber nach dem falschen Geschlecht gesucht. Jetzt versucht sie es noch mal. Bis jetzt taucht Fletchers Name bei keiner der Wohnungen in Skenby auf.«
»Versucht es mit dem Mädchennamen seiner Frau«, schlug Tony
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