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Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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jedoch bestätigt, was sie schon wussten. Und wenn man so ein Puzzle zusammensetzte, war das manchmal das Beste, was man sich erhoffen konnte.

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    D ie Art, wie das Blaulicht ihr einen Weg durch den Verkehr bahnte, hatte etwas zutiefst Befriedigendes. Pkws und Transporter scherten zur Seite aus wie Krabben, sobald sie sie gesehen hatten. Carol mochte diejenigen am liebsten, die sich so lange nicht um die Geschwindigkeitsbegrenzung kümmerten, bis sie sie im Rückspiegel entdeckten. Dann bremsten sie abrupt und wechselten auf die Mittelspur, als wollten sie sagen: »Bin etwa ich gemeint?« Wenn sie Sekunden später an ihnen vorbeiraste, starrten sie stets entschlossen geradeaus und spielten den braven Verkehrsteilnehmer.
    Manchmal nahmen die Leute sie auch überhaupt nicht wahr. Sie waren in Musik oder Radio 4 vertieft oder in eine Fußballtalkshow mit Hörerbeteiligung. Sobald Carol dicht hinter ihnen war, hupte sie kräftig. Ein oder zwei von ihnen sah sie richtig zusammenfahren. Dann rissen sie das Lenkrad herum, und Carol raste vorbei, so dicht, dass sie sie förmlich fluchen hören konnte.
    Das Gefühl, endlich handeln zu können, war berauschend. Es fühlte sich an, als sei eine Ewigkeit vergangen, seit sie in der Scheune gestanden und die Leichen von Michael und Lucy angestarrt hatte. Ein zähflüssiges Meer aus Zeit hatte ihren Weg blockiert und sie daran gehindert, Fortschritte zu machen. Sie wollte endlich vorankommen und das Schreckliche begraben. Doch daran war nicht zu denken, solange Jacko Vance noch frei herumlief. Vance in Freiheit, das verletzte ihren Gerechtigkeitssinn.
    Sie war nicht auf Jackos Tod aus, obwohl sie wusste, dass die meisten Menschen in ihrer Situation sich mit weniger nicht zufriedengeben würden. Nie hatte sie an die Todesstrafe geglaubt und auch nicht an private Rachefeldzüge, die Menschen das Leben kosteten. In diesem Punkt waren Carol und Vance sich seltsam einig. Sie wollte, dass er mit den Konsequenzen seiner Taten leben musste. Jeden Tag sollte ihm erneut bewusst sein: Bis ans Ende seiner Tage würde er keinen freien Blick mehr auf den Himmel haben.
    Und er sollte wissen, dass sie es war, die ihn erneut hinter Gitter gebracht hatte. Er sollte sich vor Hass auf sie verzehren.

    Vance konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann er zuletzt in Halifax gewesen war. Es musste zur Zeit seiner Erfolgsserie Vance’s Visits gewesen sein. Er war sicher, dass er schon mal hier gewesen sein musste, denn er erinnerte sich bestens an diese spektakuläre Straßenkurve, die von der Autobahn hinunterführte in den Kessel zwischen den Hügeln, in deren Schutz die Stadt lag. Heute Nacht war sie ein funkelndes, blinkendes Lichtermeer dort unten. Während der Zeit der Industrialisierung musste Halifax eine regelrechte Hölle gewesen sein. All die Wollspinnereien mit ihrem dreckigen Rauch, dem Kohlestaub, der überall klebte und die Luft mit giftigen Dämpfen und Schmutz erfüllte. Und die Stadt lag eingekeilt zwischen den Hügeln, aus denen es kein Entkommen gab. Er konnte gut verstehen, dass die Ebenen und Moore der Umgebung die Arbeiter magisch angezogen hatten. Die Leute gierten danach, frische Luft zu atmen, sich wie Menschen zu fühlen und nicht nur ein Rädchen in einer riesigen Maschine zu sein.
    Als er von der Autobahn ab und ins Tal hinunterfuhr, hielt er bereits Ausschau nach einer vorübergehenden Operationsbasis. Er brauchte Internetzugang, um zu überprüfen, ob seine Zielperson dort war, wo er sie vermutete. Selbst wenn man voraussetzte, dass es in Halifax so etwas Cooles wie einen Coffeeshop gab, wäre es um diese Uhrzeit zu spät dafür gewesen. Auch ein Internetcafé käme nicht in Frage. Da würden einem die Leute nur über die Schulter schauen und sich fragen, warum sich da jemand Aufnahmen einer Überwachungskamera von einer Frau in ihrem Wohnzimmer anschaute. Von einer Frau, die weit über das Alter hinaus war, in dem sie die sexuellen Phantasien des Betrachters hätte stimulieren können.
    Als er eine Kurve genommen hatte, sah er die goldenen Bögen einer McDonald’s Filiale. Er erinnerte sich daran, dass Terry ihm erzählt hatte, dass er sich immer auf McDonald’s verlassen könne, wenn nichts anderes klappte. »Kaffee, was zu mampfen und Internetzugang, das bekommst du alles dort.« Vance schauderte bei dem Gedanken. Selbst als er den Menschen noch Volksnähe und den »Vance zum Anfassen« vorgeheuchelt hatte, war spätestens bei McDonald’s Schluss gewesen. Doch

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