Vergeltung
gelungen, einen anderen Gefangenen so gut nachzuahmen, dass er es aus Oakworth heraus geschafft hat? Wie zum Teufel hat er das fertiggebracht? Ich meine, Vance ist körperlich behindert. Er hat eine Armprothese, verdammt noch mal. Ganz zu schweigen davon, dass er zur Hauptsendezeit im Fernsehen war. Millionen Leute könnten ihn bei einer Gegenüberstellung erkennen. Wie kommt es, dass die Wärter den verfluchten Jacko Vance nicht erkannten?«
»Sie sind nicht auf dem Laufenden, oder? Erinnern Sie sich nicht, dass Vance gegen das Innenministerium klagte …«
»Ja, er argumentierte, er werde diskriminiert, weil er nicht die modernste Prothese bekam. Und das Gericht bestätigte seine Meinung. Aber es ist doch trotzdem eine Prothese, Piers. Es ist kein Arm, wie Sie und ich einen haben.«
»Sie wissen wohl nicht viel über moderne Prothesen, Tony? Da geht es nicht um gewöhnliche künstliche Gliedmaßen des National Health Service. Was Vance jetzt hat, ist kaum zu unterscheiden von unseren Armen. Nach dem Bericht, der mir vorliegt, ließ er sich operieren, damit die Nerven umgeleitet werden konnten; sie übermitteln Impulse an die Elektronik in Arm und Hand. Er kann die Finger und den Daumen unabhängig voneinander bewegen. Darüber hinaus ist die Prothese kosmetisch perfekt gearbeitet, hat wohl eine künstliche Haut mit Sommersprossen, Venen, Sehnen und allem Drum und Dran. Der ganze Kram kostete Tausende Pfund.«
»Und wir haben dafür bezahlt?«
»Nein. Er hat’s privat machen lassen.«
»Nicht zu glauben!«, rief Tony. »Er ist ein verurteilter Mörder und bekommt private medizinische Behandlung?«
»Vance ist Multimillionär, und seine Mittel sind rechtmäßig erworben. Er konnte es sich leisten, und die Gerichte befanden, dass er ein Recht auf die beste Behandlung hatte, die es gibt. Ich weiß, es klingt verrückt, aber so sind die Gesetze nun mal.«
»Sie haben recht. Es klingt wirklich verrückt.« Tony erreichte die Wand und schlug mit der Hand dagegen. »Ich dachte, die Familien der Opfer hätten ihn verklagt? Wieso schwimmt er noch im Geld?«
»Weil er schlau war.« Endlich war Lamberts Stimme ein Anflug von Zorn anzuhören. »Sobald Vance verhaftet worden war, veranlasste er, dass sein Geld außer Landes geschafft wurde. Alles ist in Fonds im Ausland investiert, wo die Rechtsprechung undurchsichtig ist und wir keine Handhabe haben. Die Urteile des Zivilgerichts gegen Vance können nicht gegen einen Offshore Treuhandfonds vollstreckt werden. Aber als er Mittel für Operationen brauchte, wurden sie ihm zugänglich gemacht. Es ist äußerst anstößig, aber wir konnten keine juristischen Schritte unternehmen, um es zu verhindern.«
»Unglaublich.« Tony schüttelte den Kopf. »Aber selbst wenn der Arm nicht auffällt, wie hat er es geschafft, unbemerkt zu entkommen?«
Lambert seufzte. »Weiß der Kuckuck! Ich habe erfahren, dass der entsprechende Gefangene einen rasierten Schädel hat, eine Brille trägt und auf Armen und Nacken auffällig tätowiert ist. Und Vance hat all das kopiert. Jemand hat ihm offensichtlich extra angefertigte Abzieh-Tattoos mit den passenden Motiven verschafft. Die Person, die wahrscheinlich noch am ehesten gemerkt hätte, dass er der falsche Mann war, die Sozialarbeiterin, war heute nicht zur Arbeit gekommen.«
Tony stieß ein spöttisches Lachen aus. »Sprechen Sie nicht weiter. Lassen Sie mich raten. Etwas vollkommen Unvorhersehbares ist ihr zugestoßen. Ihr Freund wurde entführt, oder ihr Haus flog in die Luft oder so was.«
»Ich habe keine Ahnung, Tony. Ich weiß nur, dass sie nicht da war, also schickten ihn die Wärter in ihrer unendlichen Weisheit in einem Taxi zu seiner Arbeitsstelle. Ich höre, das ist in solchen Fällen die normale Vorgehensweise. Vergessen Sie nicht, die Häftlinge, denen man Freigang gewährt, sind auf dem Weg zur Entlassung. Es ist in ihrem eigenen Interesse, sich das nicht zu vermasseln.«
»Das ist die erschreckendste Neuigkeit, die ich seit langem gehört habe, wissen Sie das? Es wird Tote geben, Piers.« Tony lief es eiskalt über den Rücken. »Wie geht es dem Taxifahrer? Lebt er noch?«
»Er hat Kopfverletzungen, aber man sagt mir, sie seien nicht lebensbedrohlich.« Es klang wegwerfend. »Was mir die größte Sorge macht, ist, wie wir Vance so schnell wie möglich wieder einfangen. Und da kommen Sie ins Spiel.«
»Ich? Ich habe seit seinem ersten Prozess nicht mehr mit Vance gesprochen. Ich habe keine Ahnung, wie er dieser Tage
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