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Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Kontrollen und den Schleusenbereich hinter sich und ging den Flur entlang zu einem Büro, in dem ein überraschend junger Mann hinter einem unaufgeräumten Schreibtisch saß. Er sprang auf, hielt mit einer Hand sein Jackett fest und streckte die andere Ambrose zum Gruß entgegen. Er war groß und langgliedrig, voller Schwung. Als Ambrose näher kam, um ihm die Hand zu schütteln, sah er, dass seine Haut mit feinen, sich überkreuzenden Fältchen bedeckt war. Er war also älter, als er aussah. »John Greening«, stellte er sich vor, und sein Händedruck war so dynamisch wie seine Erscheinung. »Stellvertreter des Direktors. Der Chef ist nach London gefahren, um mit dem Innenministerium zu reden.« Wie er dabei die Augen aufriss und die Brauen hochzog, erinnerte Ambrose an David Tennant in der Rolle von Dr. Who. Schon allein der Gedanke daran machte ihn müde. Greening zeigte auf einen Stuhl, doch Ambrose blieb stehen.
    »Das überrascht nicht besonders«, sagte Ambrose. »Unter den Umständen.«
    »Jacko Vance’ Flucht hat uns ernsthaft in Verlegenheit gebracht.«
    Verlegenheit schien Ambrose ein viel zu milder, ja ärgerlicher Ausdruck dafür. Ein Serienmörder war aus dem Gefängnis dieses Mannes hinausspaziert. An seiner Stelle wäre Ambrose vor Scham im Erdboden versunken. »Ja. Na ja, es wird bei einer Panne von dieser Größenordnung natürlich eine Untersuchung geben, aber deshalb bin ich jetzt nicht hier.«
    Greening reagierte eingeschnappt, nicht wütend oder beschämt, schien es Ambrose. Als hätte jemand Kritik an seiner Krawatte geäußert. Die das, ehrlich gesagt, durchaus verdient gehabt hätte. »Ich kann Ihnen versichern, dass es keine Anzeichen von Korruption bei unserem Personal gibt«, beteuerte er.
    Ambrose lachte schnaubend. »Das ist ja fast noch schlimmer, meinen Sie nicht? Bei Korruption wären Sie vielleicht mit weniger Stress davongekommen als bei Inkompetenz. Jedenfalls bin ich jetzt hier, weil ich mit Jason Collins sprechen muss.«
    Greening nickte steif. »Der Verhörraum ist vorbereitet für Sie. Audio- und Videostream. Es überrascht uns alle sehr, dass Jason daran beteiligt war. Er hat sich so gut gehalten in der therapeutischen Abteilung.«
    Ambrose schüttelte ungläubig den Kopf. »Ein Musterschüler, offenbar.«
    Greening nickte dem Angestellten zu, der den DS begleitet hatte. »Der Kollege Ashmall wird Sie zum Verhörraum bringen.«
    Ambrose war also offenbar entlassen und folgte Ashmall zurück in den Korridor, durch eine weitere Sicherheitsschleuse und hinein in das Labyrinth des Gefängnisses. »Kannten Sie Vance?«, fragte Ambrose.
    »Ich wusste, wer er war. Hatte aber nie direkten Kontakt mit ihm.«
    Damit war die Unterhaltung abgeschlossen. Noch eine Biegung nach rechts, dann blieben sie vor einer Tür stehen. Der Beamte öffnete sie mit einer elektronischen Schlüsselkarte und hielt die Tür auf. Ambrose blieb relativ lange auf der Schwelle stehen und betrachtete den Mann, der an dem am Boden befestigten Tisch saß. Rasierter Schädel, Kinnbärtchen, Tattoos wie berichtet. Collins hob den Kopf und schaute ihm mit einem leeren, verächtlichen Blick in die Augen. »Was gucken Sie so?« Ambrose war diese Art von Provokation in seinen Jahren bei der Polizei schon so oft begegnet, dass sie wirkungslos von ihm abprallte.
    Er antwortete nicht. Sah sich im Raum um, als wolle er die grauen Wände, die Neonbeleuchtung und den gefliesten Boden für die Broschüre eines Immobilienmaklers begutachten. Es roch nach ungewaschenen Körpern und Fürzen. Ambrose sehnte sich fast nach den Tagen, als es noch nach Zigarettenrauch gerochen hatte.
    Mit zwei Schritten war er bei dem leeren Stuhl, der Collins gegenüber stand, und der Beamte ging hinaus, wobei er noch auf den Knopf zeigte, den Ambrose drücken sollte, wenn er fertig war.
    »Jason, ich bin Detective Sergeant Alvin Ambrose von der West Mercia Police und bin gekommen, um mit Ihnen über Ihre Beteiligung an Jacko Vance’ Flucht zu sprechen.«
    »Ich weiß, weshalb Sie hier sind«, brummte Jason mit mürrischer, rauher Stimme. »Ich weiß nur, dass er mir gestern Abend gesagt hat, ich sollte die Zelle mit ihm tauschen.«
    Ambrose brach in ein herzliches Lachen aus, seine tiefe dröhnende Stimme erfüllte den ganzen Raum. Collins sah erschrocken und besorgt aus. »Tun Sie mir doch den Gefallen«, sagte Ambrose, als er sich erholt hatte. »Lassen Sie den Scheiß und sagen Sie mir, was Sie wissen.«
    »Ich hab keine Ahnung von nix.

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