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Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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werden. »Wir bekommen gerade eine Nachricht herein«, sagte sie, und ihre Augenbrauen hoben sich immer wieder hektisch. »Der verurteilte Mörder Jacko Vance ist aus Oakworth Prison in der Nähe von Worcester geflohen. Vance, der wegen der Ermordung eines Teenagers einsaß, aber noch viele weitere umgebracht haben soll, verkleidete sich und schlüpfte in die Rolle eines Mithäftlings, für den ein Tag Arbeitserfahrung außerhalb des Gefängnisses geplant war.«
    Vanessa brummte missbilligend. Was sollte das bringen? Wenn man Gefangene wie Gäste eines Wohnheims behandelte, werden sie das ausnutzen. »Gefängnisbeamte wollten zu diesem Zeitpunkt keinen Kommentar abgeben, aber angeblich soll der frühere Fernsehmoderator und Olympiasportler Vance ein Taxi entführt haben, das den anderen Gefangenen an seinen Arbeitsplatz bringen sollte. Ich gebe jetzt weiter an das hiesige Parlamentsmitglied Cathy Cottison.«
    Eine schlicht aussehende Frau in einem Kleid mit unvorteilhaftem Ausschnitt erschien im Park St. Stephen’s Green vor Westminster. »Zahlreiche Fragen drängen sich auf«, sagte sie im breiten Akzent des Black Country, mit dem Vanessa Mühe hatte. »Jacko Vance ist ein ehemaliger Fernsehstar. Er hat nur einen Arm. Wie mag es bloß gelungen sein, die Gefängnisangestellten zu täuschen und überhaupt aus dem Gebäude herauszukommen? Und wie kann es sein, dass ein Häftling wie Vance mit Freigängern Kontakt hatte? Und wieso kann es sein, dass ein Gefangener ein Taxi für sich allein bekommt, ohne Begleitung? Und wie kann ein Einarmiger, der keine Waffe hat, ein Taxi entführen? Diese Fragen werde ich bei erster Gelegenheit dem Innenministerium vorlegen.«
    Vanessa war jetzt äußerst aufmerksam. Wegen dieser Sache würden Köpfe rollen. Und wo Köpfe rollten, waren Gelegenheiten zur Beschaffung neuer Mitarbeiter nicht weit. Zu ihrer Enttäuschung ging man vom Nachrichtenaspekt über zu einer Hintergrundgeschichte über den Sportler Vance, die Fernsehpersönlichkeit Vance und den Mörder Vance. Ihre Konzentration begann etwas nachzulassen, dann erschien plötzlich eine vertraute Gestalt auf dem Bildschirm. »Der Psychologe und Profiler Dr. Tony Hill, hier mit einem Kollegen von der Polizei, war maßgeblich daran beteiligt, Vance’ Verbrechen aufzudecken und ihn der Justiz zu übergeben.«
    Natürlich. Es war ihr vollkommen entfallen, dass Tony am Fall Jacko Vance beteiligt gewesen war. Die meisten Mütter wären stolz gewesen, wenn ihr einziger Sohn in einer landesweit ausgestrahlten Nachrichtenmeldung so positiv herausgestellt worden wäre. Aber Vanessa Hill war nicht wie die meisten Mütter. Ihr Sohn war ihr immer eine Unannehmlichkeit gewesen, schon vor seiner Geburt und bevor sie es geschafft hatte, allem aus dem Weg zu gehen, was einem mütterlichen Verhältnis ähnelte. Von Anfang an hatte sie sich gegen ihn gesträubt, und nichts, was er tat, hatte ihre Haltung verändern können. Sie verachtete ihn und lehnte seine berufliche Tätigkeit ab. Er war nicht dumm, das wusste sie. Er hatte die gleiche Gabe intuitiver Einsicht, die sie besaß. Aus seiner Begabung hätte er etwas machen und erfolgreich werden können.
    Stattdessen hatte er sich dafür entschieden, seine Tage mit Mördern, Vergewaltigern und dem Abschaum der Menschheit zu verbringen. Welchen Sinn sollte das haben? Also wirklich. Als sie sich erinnerte, dass Jacko Vance von ihrem Nichtsnutz von Sohn ein Strich durch die Rechnung gemacht wurde, war sie fast bereit, dem Verbrecher die Daumen zu drücken. Sie wandte sich voller Abneigung ab und nahm ihr Smartphone heraus, um ihre E-Mails zu checken. Alles brachte mehr, als sich diesen Schrott im Fernsehen anzuschauen.

15
    E s war etwas furchtbar Bedrückendes an der Wohnung, die sich Nicky Reid mit Suze Black geteilt hatte. Die abgenutzten Möbel waren offensichtlich in den ärmlichsten Secondhand-Läden zusammengesucht worden. Die Landschaftsfotos an den Wänden sahen aus, als seien sie aus Illustrierten ausgeschnitten und in billige IKEA-Rahmen gesteckt worden. Der Teppich war abgewetzt, seine Farben hatten sich im Nebel der Zeit verloren. Aber die Wohnung war sowohl sauberer als auch aufgeräumter, als Paula erwartet hatte. Es kam einem vor wie ein Raum, den Vater-Mutter-Kind spielende Kinder eingerichtet hatten.
    Nicky bemerkte, wie sie alles aufmerksam musterte, und sagte: »Wir sind kein Abschaum, wissen Sie. Wir versuchen, ein anständiges Leben zu führen. Versuchten.« Er zeigte auf eine

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