Vergeltung
aus dem, womit ich mich beruflich beschäftige, keinen Stoff für die Boulevardpresse machen. Oder auch nur Material für den Guardian. Ich bin nur aus dem Haus gegangen, weil das Telefon mich in den Wahnsinn trieb. Und dann stand die verdammte Penny Burgess auf meiner Schwelle.« Er schauderte. »Man müsste ein Masochist sein, um prominent sein zu wollen.«
»Sichert dich jemand ab?«, fragte Paula plötzlich besorgt. Tony mochte ja wirklich ein äußerst skurriler Typ sein, aber sie hatte ihn im Lauf der Jahre doch sehr liebgewonnen. Sie hatte im Dienst bereits eine Freundin verloren und kannte diese Art von Kummer zur Genüge. Tony hatte ihr damals eine helfende Hand gereicht, eine Hand, die ihren Absturz verhindert hatte, und sie fand, dass sie ihm immer noch Dank schuldete. Es gab eben Schulden, die man nie zurückzahlen konnte.
Tony nickte. »Man hat es mir zugesichert. Schon bevor ich gestern nach Haus kam, stand ein Observationswagen vor dem Haus, und ein sehr höflicher junger Mann zu Fuß beobachtet mich.« Er verzog das Gesicht. »Es ist beruhigend, nehme ich an. Aber ich glaube nicht, dass Vance hinter mir her ist. Einfache Rache ist nicht sein Stil. Er ist viel verkorkster. Den Grad seiner Verrücktheit kann ich allerdings nicht genau einschätzen. Es war also ganz gut für mich, dass ich euren Fall habe, über den ich nachdenken muss. Es hält mich davon ab, mir Sorgen zu machen.« Er blinzelte sie an wie eine Eule, die ins Licht blickt. »Sag mal, was hältst du von Carol? Wie gut kommt sie klar?«
»Man würde nie erraten, dass irgendetwas anderes läuft außer diesen Morden. Sie macht ihren Job mit professioneller Miene, und damit hat sich’s.« Ein trauriges Lächeln huschte über Paulas Gesicht. »Es würde sie umbringen, wenn sie sich uns gegenüber Schwäche anmerken ließe. Sie braucht die Gewissheit, dass wir an sie glauben, damit sie ihr Selbstbild aufrechterhalten kann.«
Tonys Augenbrauen hoben und senkten sich wieder. »Hast du jemals an eine Karriere als Psychologin gedacht?«
»Was? Soll ich etwa so werden wie du?« Paula lachte laut.
»Es sind nicht alle wie ich.« Er zog eine Grimasse. »Nur die guten. Du könntest das, weißt du. Du bist besser, als dir bewusst ist.«
»Schluss damit! Was hältst du von unserem Fall? Meinst du, es ist der gleiche Mörder?«
»Ich glaube, es gibt wenig Raum für Zweifel. Es ist die gleiche Person, Paula. Die Tätowierung ist nach dem Tod angebracht worden. Dieses Verhalten charakterisiert ihn, ist sein Merkmal. Aber das ist auch schon alles, was zur Typologie passt.« Er zog einen Spiralblock aus seiner abgenutzten Ledermappe. »Es gibt keine klaren Beweise, dass er mit seinen Opfern Sex hatte. Kylie hatte ungeschützten Sex mit vier Männern, bei Suze wissen wir es nicht, weil sie im Kanal lag, und Leannes Leiche wies keine Spuren von Sperma auf. Auch am Tatort war nichts. Dann sind da die Opfer selbst. Es gibt offensichtlich Gemeinsamkeiten. Sie waren alle Prostituierte. Und sie arbeiteten auf der Straße. Ich weiß, dass Leanne in dem Lapdance-Club gestrippt hat, aber ihre Tätigkeit auf der Straße wurde nicht von einem Zuhälter oder in einem Bordell geregelt. In dieser Hinsicht gehörte sie in die gleiche Kategorie wie die beiden anderen. Aber es gibt eine Auffälligkeit, was die Opfer betrifft. Es ist, als bewege er sich auf der sozialen Leiter der Prostituierten nach oben. Kylie war so tief unten in der Hackordnung, wie es überhaupt geht. Suze hatte sich von der untersten Ebene etwas nach oben gearbeitet. Und Leanne, na ja, die war so nah daran, eine achtbare Frau zu sein, wie es möglich ist. Nun, ich weiß, dass es für solche Verbrechen eine Faustregel gibt, die heißt, dass ein Täter mit dem schwächsten Opfer beginnt und nach jedem Mord an Selbstbewusstsein gewinnt. Aber nach meiner Erfahrung wächst dieses Selbstbewusstsein im Allgemeinen nicht so stark und so schnell. Leanne – das ist ein großer Sprung von Kylie. Und das ist merkwürdig.«
»Vielleicht ist er einfach emotional reifer als manche der Mörder, mit denen du bisher zu tun hattest.«
Tony zuckte mit den Achseln. »Möglich ist das schon. Mein Bauchgefühl sagt allerdings eher, dass er diese Dinge nicht tun müsste, wenn er emotional reif wäre.« Er breitete die Arme aus. »Aber wie soll ich das wissen? Ich habe bei der Risikoanalyse von Vance einen wichtigen Schritt ausgelassen, deshalb fühle ich mich heute nicht gerade obenauf.«
»Kannst du mir
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